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Der „Blankoscheck”: Ladislaus Graf von Szögyény-Marich (Berlin) an Leopold Graf von Berchtold (5. Juli 1914)

Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand durch einen serbischen Nationalisten am 28. Juni 1914 bildete den Auslöser der so genannten „Julikrise“. Deutsche und österreichisch-ungarische Verantwortliche vermuteten, dass Russland zugunsten Serbiens die Hand im Spiel habe und gelangten zu der Überzeugung, scharf reagieren zu müssen. Das folgende Kommuniqué des österreichisch-ungarischen Botschafters in Berlin, Ladislaus Graf von Szögyény-Marich, an den österreichisch-ungarischen Außenminister Leopold Graf von Berchtold gibt zu verstehen, dass das Deutsche Reich bereit war, auch die aggressivste österreichische Antwort zu unterstützen.

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Tel. Nr. 237
Berlin, den 5. Juli 1914

Streng geheim

Nachdem ich Kaiser Wilhelm zur Kenntnis gebracht habe, dass ich ein Allerhöchstes Handschreiben Seiner k. und k. Apostolischen Majestät, welches mir Graf Hoyos heute überbrachte, ihm zu überreichen habe, erhielt ich eine Einladung der deutschen Majestäten zu einem Déjeuner ins Neue Palais für heute mittags. Das Allerhöchste Handschreiben und das beigeschlossene Memorandum habe ich Seiner Majestät überreicht. In meiner Gegenwart las Kaiser mit grösster Aufmerksamkeit beide Schriftstücke. Zuerst versicherte mir Höchstderselbe, dass er eine ernste Aktion unsererseits gegenüber Serbien erwartet habe, doch müsse er gestehen, dass er infolge der Auseinandersetzungen unseres Allergnädigsten Herrn eine ernste europäische Komplikation im Auge behalten müsse und daher vor einer Beratung mit Reichskanzler keine definitive Antwort erteilen wolle. Nach dem Déjeuner, als ich nochmals Ernst der Situation mit grossem Nachdrucke betonte, ermächtigte mich Seine Majestät, unserem Allergnädigsten Herrn zu melden, dass wir auch in diesem Falle auf die volle Unterstützung Deutschlands rechnen können. Wie gesagt, müsse er vorerst Meinung des Reichskanzlers anhören, doch zweifle er nicht im geringsten daran, dass Herr von Bethmann Hollweg vollkommen seiner Meinung zustimmen werde. Insbesonders gelte dies betreffend eine Aktion unserseits gegenüber Serbien. Nach seiner (Kaiser Wilhelms) Meinung muss aber mit dieser Aktion nicht zugewartet werden. Russlands Haltung werde jedenfalls feindselig sein, doch sei er hierauf schon seit Jahren vorbereitet, und sollte es sogar zu einem Krieg zwischen Oesterreich-Ungarn und Russland kommen, so könnten wir davon überzeugt sein, dass Deutschland in gewohnter Bundestreue an unserer Seite stehen werde. Russland sei übrigens, wie die Dinge heute stünden, noch keineswegs kriegsbereit und werde es sich gewiss noch sehr überlegen, an die Waffen zu appellieren. Doch werde es bei den anderen Mächten der Tripleentente gegen uns hetzen und am Balkan das Feuer schüren. Er begreife sehr gut, dass es Seiner k. und k. Apostolischen Majestät bei seiner bekannten Friedensliebe schwer fallen würde, in Serbien einzumarschieren; wenn wir aber wirklich die Notwendigkeit einer kriegerischen Aktion gegen Serbien erkannt hätten, so würde er (Kaiser Wilhelm) es bedauern, wenn wir den jetzigen, für uns so günstigen Moment unbenützt liessen. Was Rumänien betreffe, so werde er dafür sorgen, dass König Carol und seine Ratgeber sich korrekt verhalten werden. Das Eingehen in ein Vertragsverhältnis mit Bulgarien „sei ihm keineswegs sympathisch"; nach wie vor habe er nicht das geringste Vertrauen zu König Ferdinand noch zu seinen früheren und jetzigen Ratgebern. Trotzdem wolle er nicht die geringste Einwendung gegen die Eingehung eines vertragsmässigen Anschlusses der Monarchie an Bulgarien erheben, doch müsse dafür Vorsorge getroffen werden, dass der Vertrag keine Spitze gegen Rumänien enthalte und – wie dies auch im Memorandum hervorgehoben werde – Rumänien zur Kenntnis gebracht werde. Kaiser Wilhelm beabsichtigt sich morgen früh nach Kiel und von dort auf seine Nordlandsfahrt zu begeben; früher wird aber Seine Majestät mit Reichskanzler in der in Rede stehenden Angelegenheit noch Rücksprache pflegen und hat er ihn zu diesem Zwecke von Hohenfinow für heute abends in das Neue Palais bestellt. Jedenfalls werde ich Gelegenheit finden, im Laufe des morgigen Tages mich mit dem Reichskanzler zu besprechen.



Quelle: Ladislaus Graf von Szögyény-Marich (Berlin) an Leopold Graf von Berchtold (5. Juli 1914), in Ludwig Bittner, u. a., Hg., Österreich-Ungarns Aussenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. 8 Bände. Wien, 1930, Bd. 8, Nr. 10,058.

Abgedruckt in Imanuel Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch 1914. 2 Bände, Hannover, 1963-64, Bd. 1, S. 83-84.

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