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Der „Kriegsrat” (Dezember 1912)

Die Befürworter der These, Deutschland habe 1914 einen Angriffskrieg geplant, haben sich auf ein Treffen des „Kriegsrats“ [zwei Jahre zuvor] gestützt. In diesem Sitzungsbericht wird Generalstabschef Helmuth Johann Ludwig von Moltke (1848-1916) mit der Meinung zitiert, je eher es einen Krieg gebe, desto besser, da eine Auseinandersetzung ohnehin unvermeidbar sei. Es ist jedoch eine andere Frage, wie stark sich die deutsche Politik von dieser Haltung 1914 wirklich leiten ließ.

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«Sonntag. Zu 11h zu Sr. Maj. ins Schloß befohlen mit Tirpitz, Heeringen (V. Adm.) u. Gen. v. Moltke. S. M. an der Hand eines telegr. Berichtes des Botschafters in London, Fürst Lichnowski über politische Lage. Haldane hat als Sprachrohr Greys Lichnowski erklärt, daß England, wenn wir Frankreich angriffen, unbedingt Frankreich beispringen würde, denn England könne nicht dulden, daß die balance of power in Europa gestört werde. S. M. begrüßt diese Mitteilung als erwünschte Klärung der Situation denjenigen gegenüber, die sich von Pressefreundlichkeiten der letzten Zeit Englands sicher fühlten.

S. M. habe sich folgendes Bild gemacht:

Österreich müsse den auswärtigen Slaven (den Serben) gegenüber kraftvoll auftreten, sonst verliere es die Macht über die Slaven der österr.-ung. Monarchie. Wenn Rußland die Serben stütze, was es offenbar tue (Sassonows Erklärung, Rußland werde sofort in Galizien einrücken, wenn Österreich in Serbien) wäre der Krieg auch für uns unvermeidlich. Wir könnten aber hoffen, Bulgarien u. Rumänien u. auch Albanien, auch vielleicht die Türkei auf unserer Seite zu haben. Ein Bündnisangebot Bulgariens an die Türkei sei schon ergangen. Wir haben den Türken sehr zugeredet. S. M. habe auch kürzlich dem Kronprinzen von Rumänien der auf Durchreise von Brüssel hier war, sehr zur Verständigung mit Bulgarien zugeredet. Treten diese Mächte auf Österreichs Seite, dann seien wir soweit frei, um den Krieg mit ganzer Wucht gegen Frankreich zu führen. Die Flotte müsse sich natürlich auf den Krieg gegen England einrichten. Der vom Ch. d. Admiralst., im letzten Vortrag erörterte Fall eines Krieges gegen Rußland allein, werde nach der Haldane'schen Erklärung außer Betracht bleiben. Also gleich Unterseebootskrieg gegen englische Truppentransporte in der Schelde bezw. bei Dünkirchen, Minenkrieg in Themse. An Tirpitz: Schleunige Mehrbauten von U-Booten etc. Empfehlung einer Konferenz aller interessierten Marinestellen. Gen. v. Moltke: ‹Ich halte einen Krieg für unvermeidbar u. je eher je besser. Wir sollten aber durch die Presse besser die Volkstümlichkeit eines Krieges gegen Rußland im Sinne der Kaiserl. Ausführungen vorbereiten.› S. M. bestätigt dies u. fordert Staatss. auf auch mit seinen Pressemitteln nach dieser Richtung hin zu wirken. T. macht darauf aufmerksam, daß die Marine gern das Hinausschieben des großen Kampfes um 1½ Jahre sehen würde. Moltke sagt, die Marine würde auch dann nicht fertig sein u. die Armee käme in immer ungünstigere Lage, denn die Gegner rüsteten stärker als wir, die wir mit dem Gelde sehr gebunden seien.

Das war das Ende der Besprechung. Das Ergebnis war so ziemlich o.

Der Chef des gr. Generalstabes sagt: Krieg je eher je besser aber er zieht nicht die Konsequenz daraus, welche wäre, Rußland oder Frankreich oder beide vor ein Ultimatum zu stellen, das den Krieg mit dem Recht auf unserer Seite entfesselte.

Nachm. noch an Reichskanzler wegen der Pressebeeinflussung geschrieben.»



Quelle: Tagebuch von Georg Alexander von Müller (8. Dezember 1912). Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg [BArch N 159/4 Fol. 169-171].

Abgedruckt in John C. G. Röhl, Kaiser, Hof und Staat: Wilhelm II. und die Deutsche Politik. München, 1987, S. 175-76.

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