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Betty Scholem zur Wirtschaftskrise (August 1931)

In der zweiten Jahreshälfte 1931 verschärfte sich die ohnehin schon schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland weiter durch eine Bankenkrise. Mit der Insolvenz des Bremer Nordwolle-Konzerns gerieten auch dessen Gläubiger in massive Schwierigkeiten, insbesondere die Darmstädter- und Nationalbank (Danatbank) und die Dresdner Bank. Der für den 13. Juli 1931 angekündigte Schalterschluss der Danatbank führte zu einem Ansturm von Kunden auf die übrigen Banken; daher erklärte die Reichsregierung den 14. und 15. Juli 1931 zu allgemeinen Bankfeiertagen und begrenzte bis zum 5. bzw. 8. August 1931 den Zahlungsverkehr von Banken und Sparkassen. Daneben wurde eine Devisenbewirtschaftung eingeführt.

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Zernsdorf, 4. August 1931

Mein liebes Kind!

Deinen Brief vom 22. erhielt ich am 30. Da hast Du inzwischen ja schon einen oder zwei Briefe von mir bekommen, die Euch die schlimme Lage schilderten. Ich bin schon technisch garnicht im Stande, so ausführlich den ganzen Zusammenbruch zu schildern, wie es für Euer Verständnis nötig wäre. Das Jahr 1930 war noch gut, es wurde zwar schon an einem Bank-Debet geknabbert, aber bei einigermaßen normalem Geschäftsgang hoffte man es nach u. nach abzudecken. Wir hätten doch diese große Reise nicht unternommen, wenn wir solches Debakel hätten fürchten müssen!! Es ist hereingebrochen, wie eine Katastrophe. Riesige Ettiquettenpleiten, die das Debet riesenhaft anschwellen ließen, zugleich fast völliges Aufhören des Geschäfts, Pleite der Bank, so daß garnicht mit ihnen zu reden ist u. sie sich auf den staatlichen Treuhänder zurückziehen, der an den Debet «kunden» kein Interesse hat – alles kommt zusammen. Und es sieht so aus, als ob uns Alles verloren gehen wird. Es ist ein geringer Trost, daß es dem ganzen Handelsstand so geht u. viel mehr Geschäfte jetzt zusammenbrechen, als stehen bleiben werden. Und da ringsum nur Wüste ist, sieht man keine Möglichkeit, neu anzupflanzen, die Situation ist verzweifelt. [ . . . ]

Eigene Wohnung u. Haushalt kann ich nicht aufrecht erhalten, das scheint unausweichlich zu sein. Schade, nicht wahr? Meine Mama war zwar keine reiche Frau, aber sie ist wenigstens in ihrer Wohnung gestorben. Von allen Kombinationen scheint mir die Beste zu sein, daß ich zu Erichs gehe. Die Hermine von Erichs geht am 1. September, Martha zieht rauf. Ich will so lange wir das Haus halten können, in meiner Wohnung bleiben, denn so lange ist die Miete von 170 Mark nur eine Buchung. Martha macht bei mir mit sauber u. zu Tisch gehe ich nach oben. Frühstück mach ich mir selbst, u. abends bin ich mehrschtens nicht da. Schuldloses Mitopfer der Krise Deutschlands, werde ich mich auf die berühmte «andre Basis» stellen u. als wohlschmeckendes Kompott meine 30 guten Jahre genießen.

Wenn es auch im Augenblick noch nicht so weit ist, daß ich den Haushalt auflösen muß, so kann es doch sehr schnell kommen, u. unsere postalische Entfernung sind 2–3 Wochen, da gebe ich Euch immer schon zu überlegen, ob Ihr etwas von meinen Sachen brauchen könnt. Verkaufen ist fast gleichbedeutend mit Verschleudern. Ich würde Werners geben, was sie aufnehmen können, kann auch Vieles auf den Boden des Fregehauses stellen. Möbel nach Palästina zu senden, geht doch wohl nicht an. Fracht u. Zoll sind zu hoch, wer soll sie zahlen? Du mußt bedenken, daß wir nichts haben. [ . . . ]

Seid herzlich geküßt von Mutt



Quelle: Betty Scholem & Gershom Scholem, Mutter und Sohn im Briefwechsel 1917-1946. München: Verlag C.H. Beck, 1989, S. 243-44.

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