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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) war ein herausragender postkantischer Philosoph und notorischer intellektueller Radikaler, dem 1798 nach Vorwürfen des Atheismus und des Jakobinertums die Professur in Jena entzogen wurde. Er fand Zuflucht in Preußen und wurde zum Professor der neuen Universität Berlin ernannt, einen Posten, den er von 1810 bis zu seinem Tod vier Jahre später im Alter von 52 Jahren innehatte. Seine Reden sind als Ausdruck des intoleranten und megalomanen deutschen Nationalismus gebrandmarkt worden. Tatsächlich besteht ihr schlimmster Makel in der unmäßigen antifranzösischen Gesinnung, nicht überraschend im Zeitalter der napoleonischen Beherrschung Deutschlands. Die vorliegenden Auszüge zeigen Fichtes Neigung, „Deutschtum“ als philosophische Veranlagung zu deuten, die einen Drang nach dem Erlangen von Freiheit und eines liberalen Staates einschloss (obwohl er keinen einheitlichen deutschen Nationalstaat befürwortet). Der Text zeigt den Einfluss des deutschen liberalen Historismus, der kantischen moralisch-politischen Philosophie und des herderschen Interesses für nationale Identität.

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Reden an die deutsche Nation

Johann Gottlieb Fichte


Siebente Rede

Noch tiefere Erfassung der Ursprünglichkeit, und Deutschheit eines Volkes.

Es sind in den vorigen Reden angegeben, und in der Geschichte nachgewiesen die Grundzüge der Deutschen, als eines Urvolks, und als eines solchen, das das Recht hat, sich das Volk schlechtweg, im Gegensatze mit andern von ihm abgerissenen Stämmen zu nennen, wie denn auch das Wort Deutsch in seiner eigentlichen Wortbedeutung das so eben gesagte bezeichnet. Es ist zweckmäßig, daß wir bei diesem Gegenstande noch eine Stunde verweilen, und uns auf den möglichen Einwurf einlassen, daß, wenn dies deutsche Eigenthümlichkeit sey, man werde bekennen müssen, daß dermalen unter den Deutschen selber wenig Deutsches mehr übrig sey. Indem auch wir diese Erscheinung keinesweges läugnen können, sondern sie vielmehr anzuerkennen, und in ihren einzelnen Theilen sie zu übersehen gedenken, wollen wir mit einer Erklärung derselben anheben.

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