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Bismarcks Vorstellung von einem Modus Vivendi mit Rom (19. Dezember 1882)

Am 20. Februar 1878 folgte Papst Leo XIII. (1810-1903) auf Pius IX. (1792-1878). Die Politik des neuen Papstes gegenüber Deutschland war versöhnlicher als die seines Vorgängers und trug zur Deeskalation des Kulturkampfs zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat bei. Im Sommer 1882 begann ein langsames Tauwetter in den Beziehungen zwischen Bismarck und dem Vatikan, aber eine Reihe von antikatholischen Maßnahmen – beispielsweise das Jesuitengesetz – blieben in Kraft. In diesem Brief vom 19. Dezember 1882, der an den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm gerichtet ist, erklärt Bismarck seine Einstellung gegenüber der katholischen Kirche in diesem Zeitraum.

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Graf Hatzfeldt* hat mir das Privatschreiben aus Rom** mitgeteilt, welches Ew. Kais. und Kgl. Hoheit die Gnade gehabt haben ihm zu übersenden. Ich halte die darin gegebene Charakteristik des jetzigen Papstes für vollkommen zutreffend, aber sie hat weniger einen politischen Wert als den einer naturgeschichtlichen Beobachtung. Wir können weder den Charakter des Papstes noch die geschichtlich gegebene Lage der Dinge durch eine politische Maßregel oder durch Verhandlungen mit Rom verändern. Das Ergebnis solcher Verhandlungen, wenn sie wider alle Wahrscheinlichkeit ein solches haben, würde immer die Natur eines Konkordates annehmen; es würde in die Preußische Gesetzgebung ein fremdes, der Souveränität Preußens nicht unterworfenes Element einführen, eine Art Staatsvertrag oder eine moralische Ehrenpflicht, die nur mit Zustimmung des Papstes gelöst werden könnte. Wer von solchen Verhandlungen einen Abschluß des tausendjährigen Streites zwischen Kaiser und Papst erwartet, täuscht sich. Ich habe persönlich diese Verhandlungen geführt, weil sie von päpstlicher Seite gewünscht wurden und es nicht nützlich schien, durch Versagung den Schein der Unversöhnlichkeit auf uns zu nehmen. Ein Ergebnis habe ich niemals davon erwartet und erwarte es nicht. Herr v. Schlözer*** war mit einer den Kirchenstreit abschließenden friedlichen Verhandlung von mir niemals beauftragt, erreichte er die Etappe, welche durch die Zusage der Anzeigepflicht gebildet wird, so überträfe er meine Erwartungen und würde das versöhnende Werk der Zeit und des Einlebens wesentlich erleichtern, aber von einer Erledigung des uralten Streits zwischen Königtum und Priestertum bleiben wir stets gleich weit entfernt. Der Schreiber des römischen Briefes täuscht sich vollständig über die Möglichkeit einer abschließenden und dauernden Verständigung des protestantischen Kaisertums mit der römischen Kurie, deshalb überschätzt er auch die Bedeutung des Abbruchs und der Wiederherstellung der gesandtschaftlichen Beziehungen. Der Abbruch war seinerzeit ein Bedürfnis nicht der Politik, sondern des Anstandes gegenüber der unerhört groben Sprache des Papstes gegen S. M. den Kaiser. Nicht wir haben Rom, sondern Rom hat uns damals „de haut en bas“ behandelt. Wenn der Schreiber des Briefes annimmt, daß erst durch falsche Maßregeln und Mangel an Informationen aus kleinen Bächen „ein Strom angewachsen sei“, so kennt er die Tatsachen nicht und täuscht sich über die bewegenden Prinzipien der Geschichte. Mit den kleinen Mitteln der Diplomatie und der Bearbeitung römischer Prälaten kann man vielleicht zu Konkordaten kommen, die für Preußen nicht annehmbar sind, aber nicht zur Heilung des alten Schadens, daß ein beträchtlicher Teil der deutschen Bevölkerung auch der politischen Führung seiner Priester mehr Glauben schenkt wie der des Königs, und daß diese Priester von einem ausländischen absoluten Monarchen [abhängen], der aber wieder von den Jesuiten und ihrem Geld abhängt, darin liegt eine Krankheit, die nur die Zeit und vor allen Dingen die Schule heilen kann, wenn auch vielleicht niemals vollständig. Verständigung mit den Jesuiten ist unmöglich und mit dem jeweiligen Papste persönlich kann sie nur palliative Hilfen gewähren. Unser Einverständnis mit der Kurie war, soweit es überhaupt möglich, vorhanden bis 1870. Die katholische Fraktion unter Reichensperger****, damals 40 - 60 Köpfe stark, hat dennoch konsequent jede Regierung bekämpft. Es war natürlich, daß sich ihr die Polen, Welfen, Dänen, Sozialdemokraten alle anschlossen, die sich in einem intransigenten Gegensatz zu den Grundgedanken der Preußischen Monarchie und des deutschen Kaisertums befanden. Dieser angeblich durch Fehler der Regierung entstandene, in der Tat aber nach der Logik der Geschichte begründete und seit 1000 Jahren bestehende „Strom“ der antideutschen Elemente, Papst, Welfen, Slawen usw., wird niemals ganz schwinden. Das hierarchische Element in demselben, die Priesterherrschaft, hat seine Ebbe und Flut in der Geschichte. Das religiöse Gefühlsleben hat Zeiten, wo es schwächer pulsiert, in anderen tritt es wieder stärker hervor. Die den Fanatismus tragenden Kräfte laufen in der Übertreibung sich selbst tot, ebenso wie die Übertreibung der Skepsis jederzeit wiederum zum Gegenstoß des Glaubens- und Gefühlseifers führt. Darin werden kleine diplomatische Erfolge nur vorübergehend etwas ändern.



* Graf Hatzfeldt: Paul Graf von Hatzfeldt (1831-1901) Staatssekretär des Auswärtigen Amts (1882-85). [Alle Fußnoten stammen aus: Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 2, Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890. Berlin: Duncker & Humblot, 1976, S. 832-35.]
** Der Verfasser des zitierten Schreibens ist nicht feststellbar; der ungefähre Inhalt des Schreibens läßt sich aus Bismarcks Darlegungen entnehmen.
*** Kurd von Schlözer (1822-1894), deutscher Botschafter in den USA 1871-1882, wurde 1882 zum preußischen Gesandten in Rom ernannt; er war maßgeblich daran beteiligt, den Weg für die Gesetze von 1886/87 zu ebnen, die den Kulturkampf faktisch beendeten.
**** August Reichensperger (1808-1895), führendes Mitglied der deutschen Zentrumspartei.

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