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Deutschland und die UNO (7. Juli 2005)

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Wer sich so weit vorwagt wie jetzt die Bundesregierung, muss sicher sein zu gewinnen. Sonst gliche die Kampagne einem Spiel, an dessen Ende ein dramatischer Prestigeverlust Deutschlands stehen könnte. Der Kanzler schmiegt sich den Russen und Chinesen an, um sie gewogen zu stimmen. Deutschland stützt seine Bewerbung überdies auf eine Koalition der Willigen. Vier Möchtegerns wollen ihre Kräfte vereinen und bündeln doch nur den Widerstand. Japan hat China zum Gegner; Indien bringt Pakistan mit und Brasilien seinen Nachbarn Argentinien als Kontrahenten; gegen Deutschland opponiert ganz offen Italien. Zudem gelten in Europa Schweden, Österreich, Holland und Spanien als Skeptiker. Weitere Staaten halten still und hoffen auf die Blockademacht der anderen. So gefährdet der Alleingang der Bundesregierung ein erstrangiges Ziel deutscher Außenpolitik (die europäische Einigung), um ein zweitrangiges zu erreichen (den Ratssitz).

Drei Großprojekte beschreiben den Weg deutscher Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg: Westbindung, Ostpolitik und Einheit. Alle wurden zum Erfolg, weil Amerika sie unterstützte. Das vierte Großprojekt betreibt die Bundesregierung ohne oder sogar gegen Amerika. Sie argumentiert, in der Generalversammlung hätten die Vereinigten Staaten nur eine Stimme und seien in der Welt gegenwärtig nicht populär. Halbdistanz, nicht Nähe zu Amerika sichere die Mehrheit. Dahinter scheint mehr zu stecken als nur Wahltaktik. Ein ständiger Sitz würde leicht zum nächsten Schritt der Lösung von Amerika. Es wäre die gravierendste Fehlinterpretation deutscher Interessen. Sicher und prosperierend wurde die Republik im Konvoi mit den westlichen Bündnispartnern. Kluge Selbstbindung war bis vor kurzem das Geheimnis der Außenpolitik. Was, fragt sich, hat sich plötzlich verändert?

Der Preis für den Sitz des neuen deutschen Selbstbewusstseins ist sehr hoch. Ach, könnte ihn doch Jeannie, der Flaschengeist, wegzaubern.



Quelle: „Soll Deutschland im UN-Sicherheitsrat sitzen? Pro: Matthias Nass; Con: Thomas Kleine-Brockhoff“, Die Zeit, Nr. 28, 7. Juli 2005.

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