GHDI logo

Bundespräsident Johannes Rau ruft zu mehr Toleranz gegenüber Einwanderern auf (12. Mai 2000)

Seite 10 von 15    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


VIII.

Von denen, die sich ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigen, bestreitet kaum jemand, dass wir auch in Zukunft – und zwar im eigenen Interesse – Einwanderung brauchen. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere westliche Länder.

Viele unserer Unternehmer schauen gerne nach Amerika und weisen auf die überwältigende Dynamik der amerikanischen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren hin. Diese Dynamik ist ganz wesentlich auf die Einwanderer zurückzuführen, die Amerika in den letzten zehn Jahren in großer Zahl aufgenommen hat.

Präsident Clinton hat vor einigen Jahren ein großes Programm zur Integration der verschiedenen Bevölkerungsgruppen aufgelegt: Das Programm heißt: „One America“ und wendet sich gegen das Auseinanderfallen der Gesellschaft in unterschiedliche ethnische Gruppen.

Darauf wird bei uns nicht so häufig hingewiesen.

Warum werden wir und andere Länder auch in Zukunft Einwanderung brauchen? Dafür wird immer wieder eine Reihe von Gründen genannt.

Zum Beispiel: Nur durch Einwanderung sei unser Sozial- und Rentensystem weiterhin zu finanzieren.

Es stimmt: Alle westlichen Gesellschaften haben ein demographisches Problem. Das dürfen wir weder verharmlosen noch dramatisieren. Durch Einwanderung allein kann das Problem nicht gelöst werden. Auf Fragen, die so komplexe Ursachen und Folgen haben wie die Umkehrung der Alterspyramide, gibt es nie nur die einzig richtige Antwort.

Gewiss täten wir gut daran, wenn unser Land kinderfreundlicher würde. Es ist nicht Aufgabe der Politik, die Zahl der Geburten zu erhöhen. Aber die Politik sollte dazu beitragen, dass der Wunsch, Kinder zu bekommen, gefördert und nicht gehemmt wird. Kinder zu haben darf finanziell nicht bestraft werden.

Ein zweiter Grund für die Forderung nach Einwanderung ist ebenfalls ernst zu nehmen. Schon heute, und in Zukunft noch mehr, fehlen in wichtigen Bereichen hochqualifizierte Arbeitskräfte. Hier machen sich Defizite früherer Bildungs- und Ausbildungspolitik schmerzlich bemerkbar.

Der Bundeskanzler hat mit seiner „Green-Card“-Initiative darauf reagiert. Soviel Zustimmung dieser Ansatz findet – auch bei mir –, wir alle wissen: Einwanderung allein kann das Defizit an qualifizierten Arbeitskräften nicht ausgleichen. Wir werden auf auswärtige Spitzenkräfte nicht verzichten könnten. Aber wir müssen dringend unsere eigenen Qualifizierungsanstrengungen verstärken. Das wird nur in Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft gelingen, die in ihrem ureigenen Interesse mehr in Ausbildung und Qualifikation investieren muss. Auch darauf hat der Bundeskanzler hingewiesen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite