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Johann Wolfgang von Goethe, Auszüge aus Faust (1808)

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Faust:
Weh! ich ertrag’ dich nicht!

Geist:
Du flehst erathmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
Faßt Uebermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,
Und trug und hegte; die mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.
Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,
Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Bist Du es? der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenstiefen zittert,
Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!

Faust:
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin’s, bin Faust, bin deines gleichen!

Geist:
In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall’ ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Faust:
Der du die weite Welt umschweifst,
Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir!

Geist:
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir! (Verschwindet.)

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