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Karl Freiherr vom und zum Stein, Prager Denkschrift (Ende August 1813)

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Die Macht des Kaisers werde vergrößert, man setze ihn in Stand, eine Oberherrlichkeit auszuüben, indem man allen denjenigen Mitgliedern des Reiches, so nach dem Reichsdeputationsschluß von anno 1803 unmittelbar waren, diese Eigenschaft wieder beilege, die Länder in die damaligen Grenzen einschränke, denn es waren die großen deutschen Staaten, so sich durch Neutralitäts-, Allianzverträge an Frankreich anschlossen und ihren Pflichten gegen Deutschland entzogen, nicht die kleineren, die fest an der alten Verfassung hielten und von ihrer Erhaltung ihr Heil erwarteten. [ . . . ]

Die Macht der Stände werde ferner geschwächt, man nehme ihnen das Recht, Krieg und Frieden zu schließen und übertrage es dem Kaiser und dem Reichstag.

Der Kaiser erhalte das Recht der exekutiven Gewalt, das heißt die Oberaufsicht über die Reichsgerichte, ihre Visitation, die unmittelbare Leitung der Verhältnisse mit fremden Mächten, der Militärangelegenheiten, der Reichskasse. Er ernenne die Generalität, den Generalstab, das Kommissariat allein. In denen kleinen Staaten, so unter dreitausend Mann stellen, ordnet er unmittelbar die militärische Organisation, in denen größeren übe er die Oberaufsicht aus. [ . . . ]

Erhält Österreich die so verstärkte Kaiserwürde, so wird seine Macht bedeutend vermehrt. Es ist ratsam, sie ihm anzuvertrauen, um sein Interesse an Deutschland zu binden und wegen des langen Besitzes und der Gewohnheit der Völker. Aber auch Preußen darf Deutschland nicht entfremdet werden und es muß eine hinlängliche Kraft erhalten, um zu dessen Verteidigung mitzuwirken, ohne seine Kräfte zu überspannen und sein politisches Dasein auf das Spiel zu setzen – es muß kräftig und selbständig werden. In Preußen erhält sich der deutsche Geist freier und reiner als in dem mit Slaven und Ungarn gemischten, von Türken und slavischen Nationen umgrenzten Österreich, dessen Entwicklung daher auf jeden Fall erschwert würde, wären ihre Fortschritte auch nicht im XVII. und XVIII. Jahrhundert noch durch Geistesdruck und Intoleranz gestört worden. [ . . . ]

Preußen bleibt wegen seiner geographischen Lage, des Geistes seiner Bewohner, seiner Regierung, des Grades seiner erworbenen Bildung ein für Europa, besonders für Deutschland, wichtiger Staat. Die Notwendigkeit seiner Wiederherstellung ist von Rußland, Österreich und England anerkannt, aber seine Wiederherstellung ist ohne seine innere Verstärkung ohne Wert und ohne wesentlichen Erfolg. Preußen hat seinen politischen Indifferentismus, den es seit dem Baseler Frieden zeigte, teuer gebüßt und seine Ansprüche auf den alten Waffenruhm und eine achtbare Stelle unter den Nationen mit seinem edelsten Blute wieder erkauft. [ . . . ]





Quelle: Freiherr vom Stein: Briefe und amtliche Schriften, Bd. 4, bearbeitet von Erich Botzenhart, neu herausgegeben von Walther Hubatsch. Stuttgart: Kohlhammer, 1963, S. 242 ff.

Abgedruckt in Peter Longerich, Hg., Was ist des Deutschen Vaterland, Dokumente zur Frage der deutschen Einheit 1800 bis 1990. München und Zürich: Piper Verlag, 1990, S. 47-50.

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