GHDI logo

Karl Freiherr vom und zum Stein, Petersburger Denkschrift (17. September 1812)

Seite 2 von 2    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Denn dieser Zustand bleibt immer mangelhaft, Deutschland zum Widerstand gegen Fremde schwach, in seinem Innern unter Mittelmächte zerstückelt – eine Folge ihrer Bildung ist aber Verlust der Nationalität, des militärischen Sinns, Vernichtung der Vaterlandsliebe, das Interesse wird abgeleitet vom Allgemeinen, vom Großen auf den kleinen Verwaltungs-Kreis eines Ländchens, auf das Treiben kleiner Höfe, deren Vervielfältigung zugleich Sittenverderbnis, höfisches Wesen, Kriecherei verbreitet, und das Gefühl der Unabhängigkeit und Selbständigkeit im einzelnen zerstört.

Könnte ich aber einen Zustand wieder aus der Vergangenheit hervorrufen, so wäre es der unter unseren großen Kaisern des 10. bis 13. Jahrhunderts, welche die deutsche Verfassung durch ihren Wink zusammenhielten und fremden Nationen Schutz und Gesetze gaben.

Das Land zwischen Oder, Rhein, Maas, Schweiz, Italien und denen österreichischen Staaten würde alsdann ein großes Ganzes bilden, das alle physischen und intellektuellen Elemente zu einem glücklichen, kräftigen, freien Staat in sich faßt und dem Ehrgeiz und dem wilden Treiben Frankreichs sich zu widersetzen vermag. Es wird in der Nation das Gefühl der Selbständigkeit wiedererwachen, ihre Kräfte werden nicht auf kleine Gegenstände vergeudet, sie wird sich mit ihrem großen Interesse beschäftigen, und ein solcher Zustand der Dinge ist denen Wünschen der Mehrzahl angemessen, die in ihren Fürsten nur die Vögte der Fremden sieht, die durch das Blut ihrer Untertanen ihr elendes Dasein zu fristen bemüht sind.

Ist die Wiederherstellung der alten Monarchie unmöglich, so bleibt die Teilung Deutschlands zwischen Österreich und Preußen der Wiederherstellung der alten Reichsverfassung vorzuziehen, selbst dann, wenn es nötig sein sollte, um den Egoismus zu schonen, die vertriebenen Fürsten wiederherzustellen und sie in ein föderatives Verhältnis mit dem Teil von Deutschland zu setzen, der sie einschließt. [ . . . ]




Quelle: Freiherr vom Stein: Briefe und amtliche Schriften, Bd. 3, bearbeitet von Erich Botzenhart, neu herausgegeben von Walther Hubatsch. Stuttgart: Kohlhammer, 1961, S. 742 ff.

Abgedruckt in Peter Longerich, Hg., Was ist des Deutschen Vaterland, Dokumente zur Frage der deutschen Einheit 1800 bis 1990. München und Zürich: Piper Verlag, 1990, S. 44-46.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite