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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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Hier ist der Ort, wo es der in unsrer ersten Rede in Anspruch genommenen Geneigtheit, sich über die eignen Angelegenheiten nicht täuschen zu wollen, und des Muthes, die Wahrheit sehen zu wollen, und sie sich zu gestehen, vorzüglich bedarf; auch ist es, so viel mir bekannt, noch immer erlaubt, in deutscher Sprache mit einander vom Vaterlande zu reden, wenigstens zu seufzen, und wir würden, glaube ich, nicht wohl thun, wenn wir aus unsrer eignen Mitte heraus ein solches Verbot verfrühten, und dem Muthe, der ohne Zweifel über das Wagniß schon vorher mit sich zu Rathe gegangen seyn wird, die Fessel der Zaghaftigkeit Einzelner anlegen wollten.

Mahlen Sie sich also die vorausgesezte neue Gewalt so gütig, und so wohlwollend vor, als Sie irgend wollen, machen Sie sie gut, wie Gott; werden Sie ihr auch göttlichen Verstand einsetzen können? Mag sie alles Ernstes das höchste Glück und Wohlseyn aller wollen, wird das höchste Wohlsein, das sie zu fassen vermag, wohl auch deutsches Wohlseyn seyn? So hoffe ich über den Hauptpunkt, den ich Ihnen heute vorgetragen, von Ihnen recht wohl verstanden worden zu seyn, ich hoffe, daß mehrere hiebei gedacht und gefühlt haben: ich drükke nur deutlich aus und spreche aus mit Worten, wie es ihnen von jeher im Gemüthe gelegen; ich hoffe, daß es auch mit den übrigen Deutschen, die einst dieses lesen werden, sich also verhalten werde; auch haben vor mir mehrere Deutsche ohngefähr dasselbe gesagt; und dem immerfort bezeugten Widerstreben gegen eine bloß mechanische Einrichtung und Berechnung des Staats, hat dunkel jene Gesinnung zum Grunde gelegen. Und nun fordre ich alle, die mit der neuen Literatur des Auslandes bekannt sind, auf, mir nachzuweisen, welcher neuere Weise, Dichter, Gesezgeber derselben eine diesem ähnliche Ahndung, die das Menschengeschlecht als ein ewig fortschreitendes betrachte, und alles sein Regen in der Zeit nur auf diesen Fortschritt beziehe, jemals verrathen habe; ob irgend einer, selbst in dem Zeitpunkte, als sie am kühnsten zu politischer Schöpfung sich emporschwangen, mehr, als nur nicht Ungleichheit, inneren Frieden, äußern Nationalruhm, und, wo es aufs höchste getrieben wurde, häusliche Glükseeligkeit vom Staate gefordert habe? Ist, wie man aus allen diesen Anzeigen schließen muß, dieses ihr höchstes, so werden sie auch uns keine höheren Bedürfnisse, und keine höheren Forderungen an das Leben beimessen, und, immer jene wohlthätigen Gesinnungen gegen uns und die Abwesenheit alles Eigennutzes, und aller Sucht mehr seyn zu wollen denn wir, vorausgesezt, treflich für uns gesorgt zu haben glauben, wenn wir alles das finden, was sie allein als begehrungswürdig kennen; dasjenige aber, warum der edlere unter uns allein leben mag, ist sodann ausgetilgt aus dem öffentlichen Leben, und das Volk, das für die Anregungen des Edleren sich stets empfänglich gezeigt hat, und welches man sogar nach seiner Mehrheit zu jenem Adel emporzuheben hoffen durfte, ist, so wie es behandelt wird, wie jene behandelt seyn wollen, herabgesezt unter seinen Rang, entwürdigt, ausgetilgt aus der Reihe der Dinge, indem es zusammenfließt mit dem von niederer Art.

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