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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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Um dies an einem Beispiele zu erläutern: man hat erlebt, daß Nationen ins Angesicht gesagt worden, sie bedürften nicht so vieler Freiheit, als etwa manche andere Nation. Diese Rede kann sogar eine Schonung und Milderung enthalten, indem man eigentlich sagen wollte, sie könnten so viele Freiheit gar nicht ertragen, und nur eine hohe Strenge könne verhindern, daß sie sich nicht unter einander selber aufrieben. Wenn aber die Worte also genommen werden, wie sie gesagt sind, so sind sie wahr unter der Voraussetzung, daß eine solche Nation des ursprünglichen Lebens, und des Triebes nach solchem, durchaus unfähig sey. Eine solche Nation, falls eine solche, in der auch nicht wenige edlere eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machten, möglich seyn sollte, bedürfte in der That gar keiner Freiheit, denn diese ist nur für die höhere über den Staat hinaus liegenden Zweke; sie bedarf bloß der Bezähmung, und Abrichtung, damit die Einzelnen friedlich neben einander bestehen, und damit das Ganze zu einem tüchtigen Mittel für willkührlich zu setzende außer ihr liegende Zweke zubereitet werde. Wir können unentschieden lassen, ob man irgend einer Nation dies mit Wahrheit sagen könne; so viel ist klar, daß ein ursprüngliches Volk der Freiheit bedarf, daß diese das Unterpfand ist seines Beharrens als ursprünglich, und daß es in seiner Fortdauer einen immer höher steigenden Grad derselben ohne alle Gefahr erträgt. Und dies ist das erste Stük, in Rüksicht dessen die Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren muß.

Sodann muß sie es seyn, die den Staat darin regiert, daß sie ihm selbst einen höhern Zwek sezt, denn den gewöhnlichen der Erhaltung des innern Friedens, des Eigenthums, der persönlichen Freiheit, des Lebens, und des Wohlseyns aller. Für diesen höhern Zwek allein, und in keiner andern Absicht bringt der Staat eine bewafnete Macht zusammen. Wenn von der Anwendung dieser die Rede entsteht, wenn es gilt, alle Zweke des Staats im bloßen Begriffe, Eigenthum, persönliche Freiheit, Leben, und Wohlseyn, ja die Fortdauer des Staats selbst, auf das Spiel zu setzen; ohne einen klaren Verstandesbegriff von der sichern Erreichung des beabsichtigten, dergleichen in Dingen dieser Art nie möglich ist, ursprünglich und Gott allein verantwortlich, zu entscheiden: dann lebt am Ruder des Staates erst ein wahrhaft ursprüngliches und erstes Leben, und an dieser Stelle erst treten ein die wahren Majestätsrechte der Regierung, gleich Gott um höhren Lebens willen das niedere Leben daran zu wagen. In der Erhaltung der hergebrachten Verfassung, der Gesetze, des bürgerlichen Wohlstandes, ist gar kein rechtes eigentliches Leben, und kein ursprünglicher Entschluß. Umstände, und Lage, längst vielleicht verstorbene Gesezgeber, haben diese erschaffen; die folgenden Zeitalter gehen gläubig fort auf der angetretenen Bahn, und leben so in der That nicht ein eignes öffentliches Leben, sondern sie wiederholen nur ein ehemaliges Leben. Es bedarf in solchen Zeiten keiner eigentlichen Regierung. Wenn aber dieser gleichmäßige Fortgang in Gefahr geräth, und es nun gilt, über neue, nie also da gewesene Fälle zu entscheiden; dann bedarf es eines Lebens, das aus sich selber lebe. Welcher Geist nun ist es, der in solchen Fällen sich an das Ruder stellen dürfe, der mit eigner Sicherheit und Gewißheit, und ohne unruhiges Hin- und Herschwanken zu entscheiden vermöge, der ein unbezweifeltes Recht habe, jedem, den es treffen mag, ob er nun selbst es wolle oder nicht, gebietend anzumuthen, und den Widerstrebenden zu zwingen, daß er alles, bis auf sein Leben, in Gefahr setze? Nicht der Geist der ruhigen bürgerlichen Liebe der Verfassung, und der Gesetze, sondern die verzehrende Flamme der höheren Vaterlandsliebe, die die Nation als Hülle des ewigen umfaßt, für welche der Edle mit Freuden sich opfert, und der Unedle, der nur um des ersten willen da ist, sich eben opfern soll. Nicht jene bürgerliche Liebe der Verfassung ist es; diese vermag dies gar nicht, wenn sie bei Verstande bleibt. Wie es auch ergehen möge, da nicht umsonst regiert wird, so wird sich immer ein Regent für sie finden. Lasset den neuen Regenten sogar die Sklaverei wollen (und wo ist Sklaverei, außer in der Nichtachtung, und Unterdrückung der Eigenthümlichkeit eines ursprünglichen Volkes, dergleichen für jenen Sinn nicht vorhanden ist?) – Lasset ihn auch die Sklaverei wollen, – da aus dem Leben der Sklaven, ihrer Menge, sogar ihrem Wohlstande sich Nutzung ziehen läßt, so wird, wenn er nur einigermaßen ein Rechner ist, die Sklaverei unter ihm erträglich ausfallen. Leben und Unterhalt wenigstens werden sie immer finden. Wofür sollten sie denn also kämpfen? Nach jenen beiden ist es die Ruhe, die ihnen über alles geht. Diese wird durch die Fortdauer des Kampfes nur gestört. Sie werden darum alles anwenden, daß dieser nur recht bald ein Ende nehme, sie werden sich fügen, sie werden nachgeben, und warum sollten sie nicht? Es ist ihnen ja nie um mehr zu thun gewesen, und sie haben vom Leben nie etwas Weiteres gehofft, denn die Fortsetzung der Gewohnheit dazuseyn unter erleidlichen Bedingungen. Die Verheißung eines Lebens auch hienieden über die Dauer des Lebens hienieden hinaus, – allein diese ist es, die bis zum Tode fürs Vaterland begeistern kann.

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