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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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Dies nun ist in höherer vom Standpunkte der Ansicht einer geistigen Welt überhaupt genommener Bedeutung des Worts, ein Volk: das Ganze der in Gesellschaft mit einander fortlebenden, und sich aus sich selbst immerfort natürlich und geistig erzeugenden Menschen, das insgesammt unter einem gewissen besondern Gesetze der Entwiklung des göttlichen aus ihm steht. Die Gemeinsamkeit dieses besondern Gesetzes ist es, was in der ewigen Welt, und eben darum auch in der zeitlichen, diese Menge zu einem natürlichen, und von sich selbst durchdrungenen Ganzen verbindet. Dieses Gesez selbst seinem Inhalte nach, kann wohl im Ganzen erfaßt werden, so wie wir es an den Deutschen, als einem Urvolke, erfaßt haben; es kann sogar durch Erwägung der Erscheinungen eines solchen Volkes noch näher in manchen seiner weitern Bestimmungen begriffen werden; aber es kann niemals von irgend einem, der ja selbst immerfort unter desselben ihm unbewußten Einflusse bleibt, ganz mit dem Begriffe durchdrungen werden; obwohl im Allgemeinen klar eingesehen werden kann, daß es ein solches Gesez gebe. Es ist dieses Gesez ein Mehr der Bildlichkeit, das mit dem Mehr der unbildlichen Ursprünglichkeit, in der Erscheinung unmittelbar verschmilzt; und so sind denn, in der Erscheinung eben, beide nicht wieder zu trennen. Jenes Gesez bestimmt durchaus und vollendet das, was man den National-Charakter eines Volks genannt hat; jenes Gesez der Entwiklung des ursprünglichen, und göttlichen. Es ist aus dem leztern klar, daß Menschen, welche so wie wir bisher die Ausländerei beschrieben haben, an ein ursprüngliches, und an eine Fortentwiklung desselben gar nicht glauben, sondern bloß an einen ewigen Kreislauf des scheinbaren Lebens, und welche durch ihren Glauben werden, wie sie glauben, im höhern Sinne gar kein Volk sind, und da sie in der That eigentlich auch nicht da sind, eben so wenig einen Nationalcharakter zu haben vermögen.

Der Glaube des edlen Menschen an die ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Erde gründet sich demnach auf die Hofnung der ewigen Fortdauer des Volks, aus dem er selber sich entwickelt hat, und der Eigenthümlichkeit desselben, nach jenem verborgenen Gesetze; ohne Einmischung und Verderbung durch irgend ein fremdes, und in das Ganze dieser Gesezgebung nicht gehöriges. Diese Eigenthümlichkeit ist das ewige, dem er die Ewigkeit seiner selbst und seines Fortwirkens anvertraut, die ewige Ordnung der Dinge, in die er sein ewiges legt; ihre Fortdauer muß er wollen, denn sie allein ist ihm das entbindende Mittel, wodurch die kurze Spanne seines Lebens hienieden zu fortdauerndem Leben hienieden ausgedehnt wird. Sein Glaube, und sein Streben, unvergängliches zu pflanzen, sein Begriff, in welchem er sein eignes Leben als ein ewiges Leben erfaßt, ist das Band, welches zunächst seine Nation, und vermittelst ihrer das ganze Menschengeschlecht, innigst mit ihm selber verknüpft, und ihrer aller Bedürfnisse, bis ans Ende der Tage, einführt in sein erweitertes Herz. Dies ist seine Liebe zu seinem Volke, zuvörderst achtend, vertrauend, desselben sich freuend, mit der Abstammung daraus sich ehrend. Es ist göttliches in ihm erschienen, und das ursprüngliche hat dasselbe gewürdigt, es zu seiner Hülle, und zu seinem unmittelbaren Verflößungsmittel in die Welt zu machen; es wird darum auch ferner göttliches aus ihm hervorbrechen. Sodann thätig, wirksam, sich aufopfernd für dasselbe. Das Leben, bloß als Leben, als Fortsetzen des wechselnden Daseyns, hat für ihn ja ohne dies nie Werth gehabt, er hat es nur gewollt als Quelle des dauernden; aber diese Dauer, verspricht ihm allein die selbstständige Fortdauer seiner Nation; um diese zu retten, muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe, und er in ihr lebe das einzige Leben, das er von je gemocht hat.

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