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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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Daß ich bei diesem gemeinfaßlichen Beispiele anhebe: Welcher edeldenkende will nicht, und wünscht nicht, in seinen Kindern und wiederum in den Kindern dieser, sein eigenes Leben von neuem, auf eine verbesserte Weise, zu wiederholen, und in dem Leben derselben veredelt, und vervollkommnet, auch auf dieser Erde, noch fortzuleben, nachdem er längst gestorben ist; den Geist, den Sinn, und die Sitte, mit denen er vielleicht in seinen Tagen abschreckend war für die Verkehrtheit, und das Verderben, befestigend die Rechtschaffenheit, aufmunternd die Trägheit, erhebend die Niedergeschlagenheit, der Sterblichkeit zu entreißen, und sie, als sein bestes Vermächtniß an die Nachwelt, niederzulegen in den Gemüthern seiner Hinterlassenen, damit auch diese sie einst eben also, verschönert und vermehrt, wieder niederlegen? Welcher Edeldenkende will nicht durch Thun oder Denken, ein Saamenkorn streuen zu unendlicher immerfortgehender Vollkommnung seines Geschlechts, etwas neues, und vorher nie da gewesenes hineinwerfen in die Zeit, das in ihr bleibe, und nie versiegende Quelle werde neuer Schöpfungen; seinen Plaz auf dieser Erde, und die ihm verliehene kurze Spanne Zeit bezahlen mit einem auch hienieden ewig dauernden, so, daß er, als dieser Einzelne, wenn auch nicht genannt durch die Geschichte, (denn Durst nach Nachruhm ist eine verächtliche Eitelkeit) dennoch in seinem eignen Bewußtseyn und seinem Glauben offenbare Denkmale hinterlasse, daß auch Er da gewesen sey? Welcher Edeldenkende will das nicht, sagte ich; aber nur nach den Bedürfnissen der also denkenden, als der Regel, wie alle seyn sollten, ist die Welt zu betrachten und einzurichten, und um ihrer willen allein ist eine Welt da. Sie sind der Kern derselben, und die anders denkenden sind, als selbst nur ein Theil der vergänglichen Welt, so lange sie also denken, auch nur um ihrer willen da, und müssen sich nach ihnen bequemen, so lange, bis sie geworden sind, wie sie.

Was könnte es nun seyn, das dieser Aufforderung und diesem Glauben des Edlen an die Ewigkeit und Unvergänglichkeit seines Werkes, die Gewähr zu leisten vermöchte? Offenbar nur eine Ordnung der Dinge, die er für selbst ewig, und für fähig, ewiges in sich aufzunehmen, anzuerkennen vermöchte. Eine solche Ordnung aber ist die, freilich in keinem Begriffe zu erfassende, aber dennoch wahrhaft vorhandne, besondere geistige Natur der menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit allem seinen Denken, und Thun, und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk, von welchem er abstammt, und unter welchem er gebildet wurde, und zu dem, was er jezt ist, heraufwuchs. Denn so unbezweifelt es auch wahr ist, daß sein Werk, wenn er mit Recht Anspruch macht auf dessen Ewigkeit, keineswegs der bloße Erfolg des geistigen Naturgesetzes seiner Nation ist, und mit diesem Erfolge rein aufgeht, sondern daß es ein Mehreres ist, denn das, und insofern unmittelbar ausströmt aus dem ursprünglichen und göttlichen Leben; so ist es dennoch ebenso wahr, daß jenes mehrere, sogleich bei seiner ersten Gestaltung zu einer sichtbaren Erscheinung, unter jenes besondere geistige Naturgesez sich gefügt, und nur nach demselben sich einen sinnlichen Ausdruk gebildet hat. Unter dasselbe Naturgesez nun werden, so lange dieses Volk besteht, auch alle fernere Offenbarungen des göttlichen in demselben eintreten, und in ihm sich gestalten. Dadurch aber, daß auch er da war, und so wirkte, ist selbst dieses Gesez weiter bestimmt, und seine Wirksamkeit ist ein stehender Bestandtheil desselben geworden. Auch hiernach wird alles folgende sich fügen, und an dasselbe sich anschließen müssen. Und so ist er denn sicher, daß die durch ihn errungene Ausbildung bleibt in seinem Volke, so lange dieses selbst bleibt, und fortdauernder Bestimmungsgrund wird aller fernern Entwiklung desselben.

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