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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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Die Religion, wie wir dies schon in unsrer dritten Rede angemerkt haben, vermag durchaus hinweg zu versetzen über alle Zeit, und über das ganze gegenwärtige, und sinnliche Leben, ohne darum der Rechtlichkeit, Sittlichkeit, und Heiligkeit des von diesem Glauben ergriffenen Lebens den mindesten Abbruch zu thun. Man kann, auch bei der sichern Ueberzeugung, daß alles unser Wirken auf dieser Erde nicht die mindeste Spur hinter sich lassen, und nicht die mindeste Frucht bringen werde, ja, daß das göttliche sogar verkehrt, und zu einem Werkzeuge des Bösen und noch tieferer sittlicher Verderbniß werde gebraucht werden, dennoch fortfahren in diesem Wirken, lediglich, um das in uns ausgebrochene göttliche Leben aufrecht zu erhalten, und in Beziehung auf eine höhere Ordnung der Dinge in einer künftigen Welt, in welcher nichts in Gott geschehenes zu Grunde geht. So waren z. B. die Apostel, und überhaupt die ersten Christen, durch ihren Glauben an den Himmel, schon im Leben gänzlich über die Erde hinweggesezt, und die Angelegenheiten derselben, der Staat, irdisches Vaterland, und Nation, waren von ihnen so gänzlich aufgegeben, daß sie dieselben auch sogar ihrer Beachtung nicht mehr würdigten. So möglich dieses nun auch ist, und so leicht auch, dem Glauben, und so freudig auch man sich darein ergeben muß, wenn es einmal unabänderlich der Wille Gottes ist, daß wir kein irdisches Vaterland mehr haben, und hienieden ausgestoßne, und Knechte seyen: so ist dies dennoch nicht der natürliche Zustand, und die Regel des Weltganges, sondern es ist eine seltne Ausnahme; auch ist es ein sehr verkehrter Gebrauch der Religion, der unter andern auch sehr häufig vom Christenthume gemacht worden, wenn dieselbe gleich von vorn herein, und ohne Rüksicht auf die vorhandenen Umstände, darauf ausgeht, diese Zurükziehung von den Angelegenheiten des Staates, und der Nation, als wahre religiöse Gesinnung zu empfehlen. In einer solchen Lage, wenn sie wahr und wirklich ist, und nicht etwa bloß durch religiöse Schwärmerei herbeigeführt, verliert das zeitliche Leben alle Selbstbeständigkeit, und es wird lediglich zu einem Vorhofe des wahren Lebens, und zu einer schweren Prüfung, die man bloß aus Gehorsam, und Ergebung in den Willen Gottes erträgt, und dann ist es wahr, daß, wie es von vielen vorgestellt worden, unsterbliche Geister nur zu ihrer Strafe in irdische Leiber, als in Gefängnisse, eingetaucht sind. In der regelmäßigen Ordnung der Dinge hingegen soll das irdische Leben selber wahrhaftig Leben seyn, dessen man sich erfreuen, und das man, freilich in Erwartung eines höhern, dankbar genießen könne; und obwohl es wahr ist, daß die Religion auch der Trost ist des widerrechtlich zerdrückten Sklaven, so ist dennoch vor allen Dingen dies religiöser Sinn, daß man sich gegen die Sklaverei stemme, und, so man es verhindern kann, die Religion nicht bis zum bloßen Troste der Gefangenen herabsinken lasse. Dem Tyrannen steht es wohl an, religiöse Ergebung zu predigen, und die, denen er auf Erden kein Pläzgen verstatten will, an den Himmel zu verweisen; wir andern müssen weniger eilen, diese von ihm empfohlne Ansicht der Religion uns anzueignen, und, falls wir können, verhindern, daß man die Erde zur Hölle mache, um eine desto größere Sehnsucht nach dem Himmel zu erregen.

Der natürliche, nur im wahren Falle der Noth aufzugebende Trieb des Menschen ist der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden, und ewig dauerndes zu verflößen in sein irdisches Tagewerk; das unvergängliche im zeitlichen selbst zu pflanzen, und zu erziehen, – nicht bloß auf eine unbegreifliche Weise, und allein durch die, sterblichen Augen undurchdringbare Kluft mit dem ewigen zusammenhängend, sondern auf eine dem sterblichen Auge selbst sichtbare Weise.

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