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Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation” (1807/08)

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Anders die ächt deutsche Staatskunst. Auch sie will Festigkeit, Sicherheit, und Unabhängigkeit von der blinden und schwankenden Natur, und ist hierin mit dem Auslande ganz einverstanden. Nur will sie nicht, wie diese, ein festes und gewisses Ding, als das erste, durch welches der Geist, als das zweite Glied, erst gewiß gemacht werde, sondern sie will gleich von vorn herein, und als das allererste und einige Glied, einen festen und gewissen Geist. Dieser ist für sie die aus sich selbst lebende, und ewig bewegliche Triebfeder, die das Leben der Gesellschaft ordnen und fortbewegen wird. Sie begreift, daß sie diesen Geist nicht durch Strafreden an die schon verwahrloste Erwachsenheit, sondern nur durch Erziehung des noch unverdorbenen Jugend-Alters hervorbringen könne; und zwar will sie mit dieser Erziehung sich nicht, wie das Ausland, an die schroffe Spitze, den Fürsten, sondern sie will sich mit derselben an die breite Fläche, an die Nation wenden, indem ja ohne Zweifel auch der Fürst zu dieser gehören wird. So wie der Staat an den Personen seiner erwachsenen Bürger die fortgesezte Erziehung des Menschengeschlechts ist, so müsse, meint diese Staatskunst, der künftige Bürger selbst erst zur Empfänglichkeit jener höheren Erziehung herauferzogen werden. Hierdurch wird nun diese deutsche, und allerneueste Staatskunst wiederum die allerälteste; denn auch diese bei den Griechen gründete das Bürgerthum auf die Erziehung, und bildete Bürger, wie die folgenden Zeitalter sie nicht wieder gesehen haben. In der Form dasselbe, in dem Gehalte mit nicht engherzigem, und ausschließendem, sondern allgemeinem und weltbürgerlichem Geiste, wird hinführo der Deutsche thun.

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Achte Rede

Was ein Volk sei, in der höhern Bedeutung des Worts, und was Vaterlandsliebe.

Die vier lezten Reden haben die Frage beantwortet: was ist der Deutsche, im Gegensatze mit andern Völkern Germanischer Abkunft? Der Beweiß, der durch dieses alles für das Ganze unsrer Untersuchung geführt werden soll, wird vollendet, wenn wir noch die Untersuchung der Frage hinzufügen: was ist ein Volk: welche leztere Frage gleich ist einer andern, und zugleich mit beantwortet diese andere, oft aufgeworfene, und auf sehr verschiedene Weisen beantwortete Frage, diese: was ist Vaterlandsliebe, oder, wie man sich richtiger ausdrücken würde, was ist Liebe des Einzelnen zu seiner Nation?

Sind wir bisher im Gange unsrer Untersuchung richtig verfahren, so muß hiebei zugleich erhellen, daß nur der Deutsche – der ursprüngliche, und nicht in einer willkührlichen Satzung erstorbene Mensch, wahrhaft ein Volk hat, und auf eins zu rechnen befugt ist, und daß nur er der eigentlichen und vernunftgemäßen Liebe zu seiner Nation fähig ist.

Wir bahnen uns den Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe durch folgende, fürs erste außer dem Zusammenhange des bisherigen zu liegen scheinende Bemerkung.

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