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Friedrich Schiller, Auszüge aus Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795)

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Der Charakter der Zeit muß sich also von seiner tiefen Entwürdigung erst aufrichten, dort der blinden Gewalt der Natur sich entziehen, und hier zu ihrer Einfalt, Wahrheit und Fülle zurückkehren; eine Aufgabe für mehr als Ein Jahrhundert. Unterdessen gebe ich gerne zu, kann mancher Versuch im Einzelnen gelingen, aber am Ganzen wird dadurch nichts gebessert sein, und der Widerspruch des Betragens wird stets gegen die Einheit der Maximen beweisen. Man wird in andern Weltteilen in dem Neger die Menschheit ehren, und in Europa sie in dem Denker schänden. Die alten Grundsätze werden bleiben, aber sie werden das Kleid des Jahrhunderts tragen, und zu einer Unterdrückung, welche sonst die Kirche autorisierte, wird die Philosophie ihren Namen leihen. Von der Freiheit erschreckt, die in ihren ersten Versuchen sich immer als Feindin ankündigt, wird man dort einer bequemen Knechtschaft sich in die Arme werfen, und hier von einer pedantischen Curatel’ zur Verzweiflung gebracht, in die wilde Ungebundenheit des Naturstands entspringen. Die Usurpation wird sich auf die Schwachheit der menschlichen Natur, die Insurrektion auf die Würde derselben berufen, bis endlich die große Beherrscherin aller menschlichen Dinge, die blinde Stärke, dazwischen tritt, und den vorgeblichen Streit der Prinzipien wie einen gemeinen Faustkampf entscheidet.




Quelle: Friedrich Schiller, „Über die ästhetische Erziehung des Menschen”, in Theoretische Schriften, herausgegeben von Rolf-Peter Janz, Band 8, Friedrich Schiller. Werke und Briefe, herausgegeben von Otto Dann, Axel Gellhaus, et al. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1992, S. 561-80.

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