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Johann Gottfried von Herder, Auszüge aus Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784-91)

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Was von der Kriegskunst galt, muß von der Staatskunst noch mehr gelten; nur ist sie eine schwerere Kunst, weil sich in ihr das Wohl des ganzen Volkes vereinet. Auch der amerikanische Wilde hat seine Staatskunst; aber wie eingeschränkt ist sie, da sie zwar einzelnen Geschlechtern Vorteil bringt, das ganze Volk aber vor dem Untergange nicht sichert. Mehrere kleine Nationen haben sich untereinander aufgerieben; andere sind so dünne geworden, daß im bösen Konflikt mit den Blattern, dem Branntwein und der Habsucht der Europäer manche derselben wahrscheinlich noch ein gleiches Schicksal erwartet. Je mehr in Asien und in Europa die Verfassung eines Staats Kunst ward, desto fester stehet er in sich, desto genauer ward er mit andern zusammengegründet, so daß einer ohne den andern selbst nicht zu fallen vermag. So steht China, so stehet Japan; alte Gebäude, tief unter sich selbst gegründet. Künstlicher schon waren die Verfassungen Griechenlandes, dessen vornehmste Republiken jahrhundertelang um ein politisches Gleichgewicht kämpften. Gemeinschaftliche Gefahren vereinigten sie, und wäre die Vereinigung vollkommen gewesen, so hätte das rüstige Volk dem Philippus und den Römern so glorreich widerstehen mögen, wie es einst dem Darius und Xerxes obgesiegt hatte. Nur die schlechte Staatskunst aller benachbarten Völker war Roms Vorteil; geteilt wurden sie angegriffen, geteilt überwunden. Ein gleiches Schicksal hatte Rom, da seine Staats- und Kriegskunst verfiel; ein gleiches Schicksal Judäa und Ägypten. Kein Volk kann untergehen, dessen Staat wohl bestellt ist; gesetzt, daß es auch überwunden wird, wie mit allen seinen Fehlern selbst China bezeuget.

Noch augenscheinlicher wird der Nutzen einer durchdachten Kunst, wenn von der innern Haushaltung eines Landes, von seinem Handel, seiner Rechtspflege, seinen Wissenschaften und Gewerben die Rede ist; in allen diesen Stücken ist offenbar, daß die höhere Kunst zugleich der höhere Vorteil sei. Ein wahrer Kaufmann betrügt nicht, weil Betrug nie bereichert; sowenig als ein wahrer Gelehrter mit falscher Wissenschaft großtut, oder ein Rechtsgelehrter, der den Namen verdient, wissentlich je ungerecht sein wird, weil alle diese sich damit nicht zu Meistern, sondern zu Lehrlingen ihrer Kunst bekennten. Ebenso gewiß muß eine Zeit kommen, da auch der Staats-Unvernünftige sich seiner Unvernunft schämet und es nicht minder lächerlich und ungereimt wird, ein tyrannischer Despot zu sein, als es in allen Zeiten für abscheulich gehalten worden; sobald man nämlich klar wie der Tag einsieht, daß jede Staats-Unvernunft mit einem falschen Einmaleins rechne, und daß, wenn sie sich damit auch die größesten Summen errechnete, sie hiemit durchaus keinen Vorteil gewinne. Dazu ist nun die Geschichte geschrieben, und es werden sich im Verfolg derselben die Beweise dieses Satzes klar zeigen. Alle Fehler der Regierungen haben vorausgehen und sich gleichsam erschöpfen müssen, damit nach allen Unordnungen der Mensch endlich lerne, daß die Wohlfahrt seines Geschlechts nicht auf Willkür, sondern auf einem ihm wesentlichen Naturgesetz, der Vernunft und Billigkeit ruhe. Wir gehen jetzt der Entwicklung desselben entgegen, und die innere Kraft der Wahrheit möge ihrem Vortrage selbst Licht und Überzeugung geben.


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