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Johann Gottfried von Herder, Auszüge aus Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784-91)

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Inniges Vergnügen fühlt unsre Seele, wenn sie den Balsam, der in den Naturgesetzen der Menschheit liegt, nicht nur empfindet, sondern ihn auch kraft seiner Natur sich unter den Menschen wider ihren Willen ausbreiten und Raum schaffen siehet. Das Vermögen zu fehlen konnte ihnen die Gottheit selbst nicht nehmen; sie legte es aber in die Natur des menschlichen Fehlers, daß er früher oder später sich als solchen zeigen und dem rechnenden Geschöpf offenbar werden mußte. Kein kluger Regent Europas verwaltet seine Provinzen mehr wie der Perserkönig, ja wie selbst die Römer solche verwalteten; wenn nicht aus Menschenliebe, so aus besserer Einsicht der Sache, da mit den Jahrhunderten sich der politische Kalkül gewisser, leichter, klarer gemacht hat. Nur ein Unsinniger würde zu unserer Zeit ägyptische Pyramiden bauen, und jeder der ähnliche Nutzlosigkeiten aufführt, wird von aller vernünftigen Welt für sinnlos gehalten, wenn nicht aus Völkerliebe, so aus sparender Berechnung. Blutige Fechterspiele, grausame Tierkämpfe dulden wir nicht mehr; alle diese wilden Jugendübungen ist das Menschengeschlecht durchgangen und hat endlich einsehen gelernt, daß ihre tolle Lust der Mühe nicht wert sei. Gleichergestalt bedürfen wir des Drucks armer Römersklaven oder spartanischer Heloten nicht mehr, da unsre Verfassung durch freie Geschöpfe das leichter zu erreichen weiß, was jene alten Verfassungen durch menschliche Tiere gefährlicher und selbst kostbarer erreichten; ja, es muß eine Zeit kommen, da wir auf unsern unmenschlichen Negerhandel ebenso bedaurend zurücksehen werden als auf die alten Römersklaven oder auf die spartanischen Heloten, wenn nicht aus Menschenliebe, so aus Berechnung. Kurz, wir haben die Gottheit zu preisen, daß sie uns bei unsrer fehlbaren schwachen Natur Vernunft gab, einen ewigen Lichtstrahl aus ihrer Sonne, dessen Wesen es ist, die Nacht zu vertreiben und die Gestalten der Dinge, wie sie sind, zu zeigen.

3. Der Fortgang der Künste und Erfindungen selbst gibt dem Menschengeschlecht wachsende Mittel in die Hand, das einzuschränken oder unschädlich zu machen, was die Natur selbst nicht auszutilgen vermochte.

Es müssen Stürme auf dem Meer sein, und die Mutter der Dinge selbst konnte sie dem Menschengeschlecht zugut nicht wegräumen; was gab sie aber ihrem Menschengeschlecht dagegen? Die Schiffskunst. Eben dieser Stürme wegen erfand der Mensch die tausendfach künstliche Gestalt seines Schiffes, und so entkommt er nicht nur dem Sturme, sondern weiß ihm auch Vorteile abzugewinnen und segelt auf seinen Flügeln.

Verschlagen auf dem Meer, konnte der Irrende keine Tyndariden anrufen, die ihm erschienen und rechten Weges ihn leiteten; er erfand sich also selbst seinen Führer, den Kompaß, und suchte am Himmel seine Tyndariden, die Sonne, den Mond und die Gestirne. Mit dieser Kunst ausgerüstet wagt er sich auf den uferlosen Ozean, bis zu seiner höchsten Höhe, bis zu seiner tiefsten Tiefe.

Das verwüstende Element des Feuers konnte die Natur dem Menschen nicht nehmen, wenn sie ihm nicht zugleich die Menschheit selbst rauben wollte; was gab sie ihm also mittelst des Feuers? Tausendfache Künste; Künste, dies fressende Gift nicht nur unschädlich zu machen und einzuschränken, sondern es selbst zum mannigfaltigsten Vorteil zu gebrauchen.

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