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Friedrich Fabri, Bedarf Deutschland der Kolonien? (1879)

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Es war noch eine zweite Vorbedingung nöthig, um aufmerksam und unbefangen an die aufgeworfene Frage herantreten zu können. Als vor sieben Jahren einige vereinzelte Rufe nach der Erwerbung von Colonien durch die deutsche Presse schwirrten, wurden sie mit Geringschätzung als veraltete Gesichtspunkte abgewiesen. Die öffentliche Meinung, vom Manchesterthum beherrscht, glaubte in unbedingtester Handels-Freiheit den wirthschaftlichen Stein der Weisen für alle Zeiten gefunden und festgestellt zu haben. Wir gehören nicht zu den vielen heutigen Lästerern der Manchester-Schule. Wir glauben vielmehr, daß die in Geltung gekommene Lehre vom Freihandel in vielen Stücken befreiend und förderlich auf die gesammte Cultur-Entwicklung unseres Jahrhunderts gewirkt hat. Aber über zwei Punkte könnten alle ruhig und besonnen Denkenden heute doch wohl im Klaren sein. Erstlich, daß unsere Wirthschafts-Politik in der Aneignung der Manchester-Theorie mehr und mehr dem einseitigsten Doktrinarismus gehuldigt hat. Es ist eine alte, in der Geschichte oft sich bezeugende Noth, daß neu aufgefundene Wahrheiten leicht diesem Schicksale verfallen. Ohne sorgfältige Beachtung ihrer natürlichen Vorbedingungen werden sie allmählig zu einer allein seligmachenden Doktrin aufgebauscht, die es dann nach der herrschenden Strömung nur möglichst rasch in ihre äußersten Consequenzen zu verfolgen gilt. [ . . . ] Es ist aber begrieflich, daß, wenn diese Irrungen sich erst empflindlich fühlbar mache, das öffentliche Urtheil dann umschlagen und der lange gefeierte Unfehlbare rasch zu einem Erzbösewicht gestempelt warden wird. Das ist der zweite Punkt, der heute als Thatsache vorliegt. Denn daß dieser Rückschlag der öffentlichen Meinung gegenüber der Manchester-Schule gegenwärtig wirklich in hohem Maaße eingetreten ist, läßt sich von Niemandem leugnen, auch nicht von denen, die denselben, wo nicht als ein Unglück, doch als eine Gefahr betrachten. Inzwischen hat dieser Rückschlag der öffentlichen Meinung in den letzten Wochen so gewaltige Dimensionen angenommen, daß er bereits zu einem höchst beachtenswerthen völkerpsychologischen Phänomen geworden ist. [ . . . ]

Ein dritter Grund, der die öffentliche Meinung der Erörterung der Frage, ob dem neuen Reiche Colonial-Besitz noththue, heute geneigt machen dürfte, liegt in der ebenso raschen, wie mächtigen Entwicklung unserer deutschen Kriegs-Marine. Wir gestehen, daß wir zu denen gehörten, welche es bezweifelten, ob das Deutsche Reich richtig handle, indem es die Schaffung einer großen und starken Kriegs-Marine unter seine ersten Aufgaben stellte. Und auch heute sind wir noch nicht überzeugt, daß unsere Zweifel unberechtigt gewesen. Angesichts der enormen Kosten, welche unsere Landheere trotz der sorgfältigsten und in manchem Betracht auch wirklich sparsamen Verwaltung unseres Militairwesens uns auferlegen, Angesichts der Nothwendigkeit, es auf lange Zeit allen europäischen Großmächten in Zahl der Mannschaften, wie in Schlagfertigkeit zuvorzuthun, halten wir Deutschland in der That zu arm, um auf die Dauer auch als Seemacht mit anderen Großmächten zu concurriren. Ohne Zweifel liegt auch die Entscheidung für die politische Machtstellung Deutschlands für alle Zeit in der Tüchtigkeit und in den Erfolgen seiner Landheere. Denken wir uns eine deutsche Kriegsmarine selbst von dem Umfange und der tüchtigen Beschaffenheit der brittischen, was würde ihr Loos sein an dem Tage, an dem unsere Landheere in entscheidender Weise geschlagen, und im Gefolge solcher Niederlagen eine Milliarden-Contribution dem Deutschen Reiche aufgelegt werden würde? Wir müßten unweigerlich unsere Schlachtenflotte in unseren Häfen verfaulen lassen, oder im besseren Falle, sie weit unter Kostenpreis zu unserer Liquidation verwenden. Und diese traurige Nothwendigkeit würde uns auch dann nicht erspart werden, wenn unsere Kriegsflotte in demselben Augenblicke, wo unsere Landheere unterlägen, die glorreichsten Siege davontrüge. Schon diese Eventualität zeigt, wie uns deucht, klar genug, daß das Bestreben, Deutschland mit einer großen und mächtigen Kriegsflotte auszurüsten, ein ziemlich gewagtes, weil bis jetzt nicht natürliches Unternehmen, und daher in gewissem Umfange wirklich ein Luxus ist.

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