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Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn von Ludwig Quidde (1894)

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Der Hang zu Ausschweifungen, das Schwelgen im Blutvergießen und die Freude an grausamen Martern machen das Bild des cäsaristischen Wütens erst recht vollständig. Daß krankhafte geschlechtliche Neigungen oft mit krankhafter Freude am Grausigen, an Blutopfern und grausamen Qualen Hand in Hand gehen, ist ja eine aus psychiatrischen Beobachtungen überall bekannte Thatsache. Wie nun diese kombinierte Erscheinung wieder mit dem Cäsarenwahnsinn zusammenhängt, ist im groben auch für den Laien leicht einzusehen, mag auch die genaue Auseinanderlegung der Erscheinung dem Fachmann noch manche Probleme bieten. Schon die äußeren Vorteile der ganzen Stellung verlocken zu früher Zügellosigkeit, wofür die Lebensgeschichte unzähliger Fürstensöhne wohl aus allen Dynastien Beispiele liefert. Wenn dann noch die cäsaristische Anschauung von der Unbegrenztheit der eigenen Ansprüche und von der Nichtigkeit aller andern Rechte hinzukommt (70) und wenn dazu sich eine Vererbung dieser Faktoren durch einige Generationen gesellt —, dann ist natürlich kein Halten mehr.

In seiner vollendetsten Gestalt gleichsam zeigt sich der Cäsarenwahnsinn, wenn Blutdurst, Grausamkeit und Zuchtlosigkeit in den Dienst des Vergötterungsgedankens treten. Auch von dieser Steigerung seiner Wahnsinnsausgeburten schien Caligula der Welt ein Beispiel in großem Maßstabe hinterlassen zu wollen, als die Juden — und zwar, wie es scheint, sie allein — sich weigerten, seine Statue in ihrem Tempel aufzustellen und ihr Anbetung zu erweisen. Mit Feuer und Schwert war er im Begriff, das ganze Volk zu seinem Dienste zwingen zu wollen, als der Tod ihn ereilte (71) .

Doch auch von einer solchen Häufung aller cäsaristisch-wahnsinnigen Züge abgesehen, wirkten des Caligula Hang zu Ausschweifungen und sein Blutdurst für sich allein schon grausig genug. In der ersten Zeit nach seinem Regierungsantritt scheint er sich einige Mäßigung auferlegt zu haben, aber bald traten die Neigungen seiner Jugend, von denen wir schon sprachen, wieder hervor, und da er jetzt unumschränkter Selbstherrscher war, so ergab er sich um so ungezügelter seinen Begierden, denen Frauen und Mädchen ohne Zahl zum Opfer fielen (72).

Zugleich begann er in wahrhaft entsetzlicher Weise, oft noch durch finanzielle Motive angestachelt, seiner Mordgier und der Freude an Martern freien Lauf zu lassen (73). Nicht nur spätere Berichterstatter haben uns davon berichtet, sondern auch der Zeitgenosse Seneca schildert die tierische Freude, die der Kaiser beim Anblick von Hinrichtungen empfand, und die Grausamkeit, mit der er die Überlebenden quälte (74) .


(70) Ein Wort des Caligula lautete: „Memento omnia mihi et in omnes licere": Bedenke, daß mir alles und gegen alle zu thun erlaubt ist.
(71) Josephus, Antiq. 8, 2—8. Vgl. Philo, Legatio ad Gaium.
(72) Sueton 36. Dio Cassius 59, 3 und 10.
(73) Sueton 26 ff. Dio Cassius 59, 10. Jos. Flav. XIX, 1, 1.
(74) Seneca, De ira II, 33, 3; III, 18, 3 ff.; 19. De benef. II, 21, 5. Quaest. nat. IV, praef. 17.

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