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Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn von Ludwig Quidde (1894)

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Wir dürfen das Bild uns wohl weiter ausmalen, wie der Kaiser Verwaltungsbeamten, Quästoren oder großen Steuerpächtern militärischen Rang erteilte, alte Soldaten auf wichtige Civilverwaltungsposten stellte, eingefleischte Juristen, die auf dem Forum groß geworden waren, auf schwierige Stellungen an der Grenze für den Verkehr mit fremden Völkerschaften schickte oder gichtbrüchige Geheimräte an die Spitze seiner Tänzerschar beförderte. Nicht toll genug werden wir uns den Wirrwarr, den Widerstreit von Befähigung und Aufträgen, den Hohn auf die gesunde Vernunft, der von dem konsularischen Roß schließlich gekrönt wurde, vorstellen können.

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Über der wild durcheinander geworfenen, verhöhnten und mit Füßen getretenen servilen Masse des Volkes und aller Stände glaubte der Kaiser selbst zu thronen, in unnahbarer göttlicher Majestät, die für ihn selbst ungeschmälert aufrecht stehen blieb, wenn er auch gelegentlich den Purzelbaum zum Cirkus hinunterschlug. Denn das ist wesentlich für diese Gattung von Cäsaren, sie glauben an ihr eigenes Recht, sie meinen eine Mission zu haben, fühlen sich in einem besonderen Verhältnis zur Gottheit stehend, halten sich für die Auserwählten derselben und beanspruchen schließlich für sich selbst göttliche Verehrung.

Das scheint der äußerste Gipfel des Cäsarenwahns zu sein, und doch nähern sich ihm die Vorstellungen mancher Herrscher, die noch nicht geradezu für krank gelten können, auf bedenkliche Weise, — Friedrich Wilhelm IV. z. B. bewegte sich, auch als er noch nicht völlig erkrankt war, in einem solchen mystischen Ideenkreise. Freilich — das ist ja das schmach- und jammervolle Fundament der ganzen Cäsarenexistenz — kommt solchen Vorstellungen die Anschauungsweise der Massen und besonders der herrschenden Klassen in den von eigentlich monarchischer Gesinnung durchtränkten Völkern oft auf die gefährlichste Weise entgegen. Wie hätte sonst für Alexander, wie hätte für Cäsar Vergötterung beansprucht werden können?

Bei Caligula ist es ganz offenbar nicht nur kecke Ausnützung der Volksauffassung oder politische Berechnung, wenn er göttliche Verehrung beansprucht, sondern es ist der helle, nackte Wahnsinn, der an die eigene Göttlichkeit glaubt, oder doch sich vorübergehend in die Vorstellung derselben liebevoll versenkt.

Das sehen wir am besten daran, wie er mit dem Gedanken gleichsam spielt. Bei der Dürftigkeit unserer Nachrichten können wir auch hier die Entwicklung nicht ganz verfolgen — die unscheinbaren Anfänge sind uns nicht deutlich überliefert. Daß er schon als Jüngling zum Augurn und Oberpriester ernannt wurde, hat möglicherweise auf seine Ideenwelt einen gewissen Einfluß geübt. Wir dürfen wohl annehmen, daß er beim Gottesdienst selbst wirklich fungiert haben wird und daß es ihm nahelag, phantastische Vorstellungen mit der Ausübung solcher Funktionen zu verbinden. Weit wichtiger und bezeichnender aber ist es, daß er es liebte, in der Verkleidung von Göttern und Göttinnen aufzutreten.

Wie sich ein schauspielerischer Zug darin äußert, wurde schon berührt: wir müssen uns vorstellen, wie der kaiserliche Akteur sich gleichsam selbst in die Stellung der dargestellten Gottheit hineinschauspielerte. Es ist ja sehr merkwürdig, wie bei etwas krankhaft-phantastisch angelegten Menschen die Grenzen zwischen der Wirklichkeit und dem dargestellten Schein sich verwischen; zunächst spielen sie mit dem Gedanken, etwas mit der dargestellten Figur gemein zu haben, in Augenblicken besonderer Ekstase fühlen sie sich mit ihr eins, und bei ausgesprochener geistiger Erkrankung glauben sie schließlich dauernd mit ihr identisch zu sein. König Ludwig von Bayern hat gewiß, wenn er als Lohengrin auf seinem künstlichen See im Schwanennachen fuhr, auch Momente gehabt, in denen die Scheidung zwischen Darstellung und Wirklichkeit sich für ihn verwischte. Vielleicht darf man sagen: es ist die infolge von Überreizung auf das eigene Subjekt ausgedehnte Illusion, die wir alle dem Objekt gegenüber ja bei künstlerischen Reizen auf unsere Phantasie kennen lernen. — Und wenn nun noch das Auftreten vor dritten Personen und großen Volksmassen, der Wunsch, auf dieselben Eindruck zu machen, und das Bedürfnis, eine ganz unnatürliche Fiktion mit immer verstärkten äußeren Mitteln aufrecht zu erhalten, hinzukommen! Wer hat nicht schon Menschen gekannt, die schließlich selbst glaubten, das zu sein und das geleistet zu haben, was sie lange anderen und dann sich selbst vorgeschwindelt hatten?

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