GHDI logo

Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn von Ludwig Quidde (1894)

Seite 10 von 14    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Von dem Streben des Herrschers, die eigene Macht fühlbar zu machen, pflegen zunächst nicht so sehr die breiten Massen des Volkes wie die höher gestellten Gesellschaftsklassen, vornehme Familien und hohe Beamte, getroffen zu werden. Die ersten schwachen Anfänge sind allerhand Rücksichtslosigkeiten (47) — doch eben nur schwache Anfänge, denn mit cynischem Behagen suchen solche Herrscher bald alles herabzudrücken, was neben ihnen selbständige Geltung beanspruchen kann. Auch bei Caligula ist zu beobachten, wie er jeden Vorzug und besonders jedes Verdienst mit seinem Haß verfolgte (48), wie er systematisch alles Ansehen durch Mißachtung und Hohn zu untergraben suchte, wie er darauf ausging, hochgestellte Männer zu erniedrigen, sie zwang, als Gladiatoren aufzutreten (49) (wobei freilich auch sein Gefallen am Blutvergießen ins Spiel kam), sie hinter seinem Wagen herlaufen, bei Tische aufwarten ließ (50) oder ihnen den Fuß zum Kusse reichte (51) , — der Handkuß galt wohl kaum mehr als eine Erniedrigung, sondern eher als eine Ehre! Geflissentlich verhöhnte er die uralten Traditionen vornehmer Familien (52) und setzte seine eigene Umgebung aus Personen des niedrigsten Standes zusammen. Kutscher, Gladiatoren, Schauspieler und allerhand fahrendes Volk seien, so sagte man, sein täglicher Umgang (53), während die berufenen Männer beiseite geschoben wurden (auch wieder ein Zug, dem man in der Geschichte kranker Herrschergestalten oft genug begegnet).

Sicherlich hat Caligula auf ähnliche Weise auch im eigentlichen Staatsleben mit den Stellen der Civilverwaltung und des Heeres gewirtschaftet.

Gerade an diesem Punkte empfindet man es besonders schmerzlich, daß die uns erhaltene Darstellung des Tacitus beim Regierungsantritt des Caligula abbricht. Er würde gewiß mit unnachahmlicher Kunst geschildert haben, wie dieser Charakterzug zersetzend auf die ganze Staatsverwaltung eingewirkt hat. Von geringeren Autoren ist uns jetzt fast nur der äußerste Zug von Wahnsinn überliefert, wie Caligula schließlich einem Pferde die Konsulwürde zu verleihen beabsichtigt haben soll (54). Die Stufen, die zu diesem Gipfel bubenhafter Verhöhnung führten, müssen wir uns kombinierend ergänzen. Es fällt aber nicht schwer, sich vorzustellen, wie die Mißachtung jeder Sachkenntnis und jeder auf Fachbildung beruhenden Autorität, von kaum bemerkbaren Anfängen an, sich dazu fortentwickelt hat.

Nur zwei Einzelerscheinungen, die hierher gehören, sind uns zufällig bekannt. Die Wissenschaft der Jurisprudenz hat Caligula in der Praxis völlig beseitigen, den Stand der Juristen völlig ausrotten wollen (55). Mag in dieser Juristenfeindschaft auch der gesunde Kern stecken, daß die Existenz einer Fachjurisprudenz dem Wesen des lebendigen Rechtes widerstreitet, so ist der Gedanke selbst doch unter den gegebenen Verhältnissen des damaligen römischen Lebens wieder echt cäsarisch. Der andere Vorgang betrifft das Heerwesen. Eine Anzahl von Cirkusfechtern wurde anscheinend unvermittelt aus bloßer Laune zu Offizieren seiner Leibwache ernannt (56).


(47) Von Caligula erzählt man u. a. auch, daß er die bekannte „Höflichteit der Könige" aufs äußerste vernachlässigte und große Volksmassen rücksichtslos auf sich warten ließ Dio Cassius 59, 13.
(48) Dio Cassius 59, 27: [ . . . ]. — Vergl. Sueton 35.
(49) Dio Cassius 59, 10.
(50) Sueton 26.
(51) Dio Cassius 59, 27. Seneca, De beneficiis, II, 12.
(52) Sueton 35.
(53) Dio Cassius 59, 5.
(54) Dio Cassius 59, 14. Sueton 55.
(55) Sueton 34.
(56) Sueton 55.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite