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V. Rassenpolitik
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Frühere Agitationen und Gewalttaten radikaler Nazis niedrigen Ranges gegen deutsche Juden hatten das Ansehen des neuen Regimes im Ausland geschädigt und drohten, ausländische Sanktionen zu provozieren. Im März 1933 hatten einige amerikanische jüdische Führungspersonen begonnen, von einem wirtschaftlichen Boykott deutscher Waren zu sprechen. Hitler konnte die antijüdischen Bestrebungen der Nazis nicht leugnen, aber er hatte vor, sie in offizielle Bahnen zu lenken. Zunächst kündigte die NSDAP einen unbefristeten Boykott jüdischer Unternehmen in Deutschland an, angeblich um gegen die „feindliche“ ausländische Presse zu protestieren. Nachdem jedoch deutlich geworden war, dass das Ausland keinen tatsächlichen Boykott deutscher Waren unterstützte und einige Abgeordnete Hitler vor den wirtschaftlichen Folgeschäden eines anti-jüdischen Boykotts warnten, wurde die Aktion auf einen Tag beschränkt: den 1. April 1933. Dennoch hatte dessen Ankündigung einen einschüchternden und deprimierenden Effekt auf die deutschen Juden und andere. In seinem Tagebucheintrag vom 31. März 1933 beschrieb Victor Klemperer, ein jüdischer Konvertit zum evangelisch-lutherischen Glauben, die öffentliche Stimmung am Vorabend des Boykotts. Seine Schilderung hält das wachsende Gefühl der Isolation und Hoffnungslosigkeit fest, das viele deutsche Juden und diejenigen, die vom Regime für jüdisch erklärt wurden, empfanden.

Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 war vorgeblich als Mittel gedacht, um eine effizientere und professionellere Verwaltung zu schaffen. Was das Gesetz jedoch tatsächlich bewirkte, war die unmittelbare Disqualifizierung aller Nicht-Arier aus dem deutschen Beamtentum. Das Gesetz betraf hauptsächlich Juden, doch es galt auch für Personen, die mit Juden verheiratet waren oder auch nur ein jüdisches Großelternteil hatten. Auf Reichspräsident Hindenburgs Wunsch wurde eine Ausnahme gemacht, nämlich für jüdische Kriegsteilnehmer. Ebenso beraubte das Gesetz diejenigen des Schutzes ihres Beamtenverhältnisses, die sich an politischen Aktivitäten beteiligt hatten, welche von den Nazis für illegal erachtet wurden. Außerdem erlaubte es der Regierung, Personen zwangsweise in den Ruhestand zu versetzen – selbst wenn sie noch nicht für dienstunfähig erklärt waren – schlicht, um die Verwaltung zu „vereinfachen“. Das Gesetz hatte fast unmittelbare Auswirkung auf die Zusammensetzung der Fakultäten an Schulen und Universitäten, da Lehrer und Professoren verbeamtet waren.

Am 14. Juli 1933 erließ das NS-Regime das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das die zwangsweise Sterilisation für bestimmte Gruppen einführte, die an für erblich gehaltenen Krankheiten litten. Wie der Gesetzestext zeigt, war die Abgrenzung dieser Gruppen undeutlich und ausdehnbar. Insgesamt spiegelte die dem Gesetz zugrunde liegende Vorstellung, dass Menschen minderwertiger Abstammung sich schneller vermehrten als die genetisch erwünschten Deutschen, die Ängste der Nazis, nicht die Realität wider.

Im September 1933 unterrichte der amerikanische Generalkonsul in Berlin, George S. Messersmith, das US-Außenministerium über den Status der antisemitischen Bewegung in Deutschland. Neben anderen Beobachtungen bemerkte Messersmith, dass die Nazis zahlreiche Wege gefunden hatten, um ihre Form des Antisemitismus unter größeren Teilen der deutschen Bevölkerung zu verbreiten. Nach seiner Einschätzung „verschlechterte sich zunehmend“ die Situation der Juden in Deutschland. Obwohl Messersmith gelegentlich die Stabilität des Hitler-Regimes unterschätzte, erkannte er doch klar die Bedrohung, die es für Deutschland und die Welt darstellte.

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