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Das „Sit-in” als Methode der Universitätsreform (22. Juni 1966)

Ein Teilnehmer beschreibt das erste gewaltlose „Sit-in“ an der Freien Universität Berlin im Sommer 1966, dessen Ziel es war, auf die Reformbedürftigkeit der Universitätsstrukturen sowie auf die Notwendigkeit einer allgemeinen gesellschaftlichen Demokratisierung aufmerksam zu machen.

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„Das erste ‚sit in’: Revolte gegen die Ordinarien-Herrschaft“


Am Nachmittag des 22. Juni 1966 versammelten sich über 3 000 Studenten unter den Fenstern des Senatssaals. Da die studentischen Senatssprecher die Vertraulichkeit der Sitzung durchbrochen hatten, indem sie die geheime Tagesordnung veröffentlicht hatten, war es der Protestversammlung möglich, die gleichen Probleme wie der Senat öffentlich zu diskutieren. Von der Versammlung gewählte Delegationen forderten Rektor und Senatoren auf, an dieser öffentlichen Diskussion teilzunehmen, um ihre Beschlüsse vor und mit den Betroffenen zu diskutieren. Als sich die Professoren weigerten, zogen die Studenten in das Gebäude und begannen einen Sitzstreik. Die dort fortgesetzte Diskussion wurde kurz durch das Erscheinen des Rektors unterbrochen, der den Studenten ein Gespräch mit den Studentenvertretern in Aussicht stellte und sie im übrigen aufforderte, nach Hause zu gehen. Die Versammlung beschloß jedoch, mit ihrer Diskussion fortzufahren. Mit verschiedenen Professoren und Assistenten wurde ein teach-in veranstaltet, das bis nach Mitternacht dauerte. Um 22.00 Uhr gaben die studentischen Senatssprecher bekannt, der Akademische Senat habe formell seinen Beschluß zurückgenommen, in Räumen der FU keine politischen Veranstaltungen zu genehmigen. Was Taktik und vertrauliche Verhandlungen der Studentenvertreter nicht erreicht hatten, war einer massiven Demonstration der Universitätsbürger gelungen. Mit der Forderung nach paritätisch besetzten Studienreformkommissionen und einer Resolution wurde das sit-in beendet:

»Resolution vom 22. Juni 1966, verabschiedet von den zum sit-in versammelten Studenten der Freien Universität Berlin.

Wir kämpfen nicht nur um das Recht, längere Zeit zu studieren und unsere Meinung stärker äußern zu können. Das ist nur die halbe Sache. Es geht uns vielmehr darum, daß Entscheidungen, die die Studenten betreffen, demokratisch und unter Mitwirkung der Studenten getroffen werden.

Was hier in Berlin vor sich geht, ist ebenso wie in der Gesellschaft ein Konflikt, dessen Zentralgegenstand weder längeres Studium noch mehr Urlaub sind, sondern der Abbau oligarchischer Herrschaft und die Verwirklichung demokratischer Freiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Wir wenden uns gegen alle, die den Geist der Verfassung, gleich in welcher Art, mißachten, auch wenn sie vorgeben, auf dem Boden der Verfassung zu stehen.

Es gilt, die Freiheit in der Universität als Problem zu sehen, das über den Rahmen der Universität hinausweist. Aus diesem Grunde sieht die Studentenschaft die Notwendigkeit, mit allen demokratischen Organisationen in der Gesellschaft zusammenzuarbeiten, um ihre Forderungen durchzusetzen«.



Quelle: Uwe Bergmann, „Das erste ‚sit in’: Revolte gegen die Ordinarien-Herrschaft“, in Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition. Eine Analyse von Uwe Bergmann, Rudi Dutschke, Wolfgang Lefèvre, Bernd Rabehl. Reinbek bei Hamburg, 1968, S. 21; abgedruckt in Karl A. Otto, Hg., Die APO. Die Außerparlamentarische Opposition in Quellen und Dokumenten 1960-1970. Köln, 1989, S. 184f.

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