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Konservative Verurteilung von beruflicher Freiheit als Ergebnis einer eingreifenden staatlichen Bürokratie (1851)

In dieser Textpassage aus seinem einflussreichen Werk Die bürgerliche Gesellschaft (1851) wendet sich der konservative Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897) gegen die Gewerbefreiheit als obrigkeitsstaatliches Instrument, das unabhängige Handwerker schädige und die Produktqualität senke. Gleichzeitig befürwortet er ein fortschrittlicheres Zunftwesen und will neuen Stolz auf das Gesellen- und Ausbildungswesen wecken.

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Es ist eine sehr beachtenswerthe Erscheinung, daß der vormärzliche Polizeistaat, der gar keine Freiheit und am wenigsten eine absolute, gelten lassen wollte, die absolute Gewerbefreiheit ganz allein in seinen Schutz nahm. Das muß wohl eine bedenkliche Freiheit seyn, die sich solcher Gönnerschaft erfreut. Der Polizei- und Beamtenstaat fürchtete sich vor einem selbständigen und kräftigen Gewerbestande, und er wußte wohl, daß die absolute Gewerbefreiheit der sicherste Zügel ist für das bürgerliche Gewerb, einer von den Zügeln nämlich mit scharfem, ins Fleisch schneidendem Gebiß, mit denen man selbst das feurigste Roß zum lendenlahmen Klepper zügelt. Da wurde die Dilettantenwirthschaft der sogenannten „Patentmeisterschaft“ eingeführt, wornach jeder, auch ungelernt, ein beliebiges Gewerb treiben kann, wenn er sich nur für ein paar Gulden ein Patent löst und einen Gesellen hält, und ist er ein speculativer Kopf, so kann er's auch mit einem halben Dutzend verschiedenartiger Gewerbe zu gleicher Zeit probiren. Das hieß eine Staatsprämie auf die Pfuscherei und Schwindelei setzen. Der Staat versteigerte seine Bauten und öffentlichen Unternehmungen an den Wenigstfordernden. Das war abermals eine Prämie auf die Schwindelei. Er ließ — und läßt — gewöhnliche bürgerliche Handwerke von Züchtlingen betreiben, und drückt durch solche Concurrenz, die ihm kaum Arbeitslöhne kostet, den Verdienst des Bürgers herunter. Indem er den Verbrecher züchtigt, züchtigt er zugleich den redlichen Handwerksmann. Man muß in Ländern gelebt haben, wo solche zügellose Gewerbefreiheit galt, um sich recht gründlich von ihrer Verderblichkeit zu überzeugen. In solchen Ländern war es dann auch, wo die Handwerksmeister beim ersten Aufzucken der achtundvierziger Bewegung keine brennendere Frage kannten, als die der Errettung von solch mörderischer Freiheit.

Es gibt alte gewerbreiche Städte, in denen das alte Zunftwesen nicht untergegangen ist, wohl aber sich weiter gebildet hat zum Segen des Handwerks. Es gibt auch herabgekommene alte Reichsstädte, wo man heute noch an allem Zopf des alten Zunftwesens hängt und dasselbe in all seinen erstarrten Formen festhält. Dort ist gemeiniglich der Handwerker durch den veräußerlichten Innungsgeist eben so träge, stümperhaft, verknöchert und mißvergnügt geworden, als er in den Ländern der absoluten Gewerbefreiheit träg, stümperhaft, verknöchert und mißvergnügt ist. Beide Extreme demoralisiren den Gewerbestand.

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