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Bericht der Zentralen Parteikontrollkommission der SED zu Entstehung und Zielen der „Gruppe Harich” (26. März 1957)

In den fünfziger Jahren wächst in der DDR der politische Druck auf kommunistische Intellektuelle, die nicht der Linie der SED folgen. Am 1. Dezember 1956 werden der Philosophieprofessor und Cheflektor des Aufbau-Verlags, Wolfgang Harich, und seine Mitarbeiter verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt. Harich hat einen freiheitlichen Sozialismus mit antistalinistischen Zügen vertreten und Reformen in der Partei gefordert. Der Bericht der SED-Parteikontrollkommission brandmarkt dies als konterrevolutionär.

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Die parteimäßige Untersuchung der Entstehung und Entwicklung der Harich-Gruppe deckte in der Hauptsache folgende drei Punkte auf:

1. Harich bereitete seine Absichten sehr sorgfältig und systematisch vor. In der ersten Zeit ging er sehr vorsichtig und getarnt zu Werke. Erst in der späteren Zeit wurde er immer offener.

2. Die Parteiorganisation des Aufbau-Verlages bot in ihrer großen Mehrheit einen günstigen Entwicklungsboden für das Entstehen der konterrevolutionären Gruppe, da der größte Teil der Parteimitglieder Vorbehalte gegen die Politik der Partei hatte.

3. Es gab genügend Hinweise dafür, daß sich um Harich im Aufbau-Verlag etwas Parteiwidriges vollzieht.

Diese Hinweise wurden jedoch infolge gröblicher Verletzung der Wachsamkeit nicht beachtet. Es wäre daher möglich gewesen, die Harich-Gruppe früher zu entlarven.

Die Untersuchung ergab, daß die konterrevolutionäre Plattform des Wolfgang Harich natürlich nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel entstanden ist, sondern daß sie seit dem XX. Parteitag und der 3. Parteikonferenz systematisch vorbereitet wurde.

Nach den übereinstimmenden Aussagen der Beteiligten ist Harich zunächst in der Hauptsache mit satirischen Bemerkungen über einzelne Fragen der Politik der Partei und über die Parteiführung aufgetreten. Offensichtlich bestand der Zweck seiner scheinbaren Scherze darin, die einzelnen Mitglieder der Parteiorganisation abzutasten, inwieweit sie für eine Mitarbeit in der Gruppe in Frage kommen würden. Wurde seinen angeblichen Scherzen entgegengetreten, was allerdings sehr selten geschah, so zog sich Harich mit der Bemerkung zurück, daß er nur einen schlechten Scherz gemacht habe. Wurde ihnen nicht entgegengetreten, so wußte er, daß er bei diesem Parteimitglied weitergehen konnte.

Wenn Harich auch in der ersten Zeit hauptsächlich mit dieser Methode gearbeitet hat, so hat er sie auch bis zum Schluß noch beibehalten, da sie ihm eine gute Möglichkeit bot, festzustellen, wieweit der Boden für ein offenes Auftreten gegen die Partei vorbereitet war.

Das erste offene Auftreten Harichs mit einer im gewissen Sinne abgerundeten Auffassung erfolgte Ende Juni oder Anfang Juli in einer Mitgliederversammlung der Parteiorganisation. Die Angaben über die Ausführungen Harichs auf dieser Parteiversammlung sind nicht ganz einheitlich. Aus diesen Aussagen schält sich aber heraus, daß er in folgendem Sinne auftrat:

»Die auf dem XX. Parteitag verurteilten Erscheinungen des Kultus der Persönlichkeit darf man nicht als Fehler des Genossen Stalin kennzeichnen.

Vor dem 2. Weltkrieg hat sich die Sowjetunion infolge der imperialistischen Umkreisung und der Aggressivität des faschistischen Deutschland in einer sehr schwierigen Lage befunden. Die Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit waren daher eine historische Notwendigkeit.

Die schwierige Lage der Sowjetunion und die historischen Notwendigkeiten hätten sozusagen zwangsläufig zu einem ganzen System von Fehlern geführt, so daß das Sowjetsystem in Fehlern erstarrt sei. Später sei dieses System auf die Volksdemokratien ausgedehnt worden und jetzt käme es darauf an, dieses fehlerhafte System zu überwinden.«

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