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Die psychische und physische Situation der Ostheimkehrer (undatierter Bericht)

Am Ende des Zweiten Weltkriegs befinden sich Millionen deutscher Männer in alliierter Kriegsgefangenschaft. Während die Westalliierten ihre Gefangenen relativ zügig entlassen, zieht die Sowjetunion ihre Gefangenen zum Arbeitseinsatz im Rahmen der deutschen Reparationsverpflichtungen heran und entläßt die letzten Deutschen erst 1955. Der Bericht aus dem Heimkehrerhotel Willingen, einer kirchlichen Betreuungseinrichtung in Hessen, beschreibt die verheerenden physischen und psychischen Folgen der harten Lebensbedingungen der Internierten in den sowjetischen Arbeitslagern.

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Beobachtungen und Erfahrungen im Heimkehrerhotel Willingen


I. Der Ostheimkehrer

a) Seine seelische Beschaffenheit. Er ist ein Mensch, den eines Teils das furchtbare Gefangenendasein in Russland, zum anderen aber die völlig anders geartete Lebensweise des Landes in besonderem Masse geformt hat. Wesen und Gesichtsausdruck sind russisch geworden.

Er kommt zerlumpt. Aus fahlem, gelben Gesicht blicken tiefliegende Augen, als seien Leben und Seele ausgelöscht. Ohne anscheinend innere Anteilnahme steht er, wo er hingestellt wird, wartet entschlusslos auf Befehle, die dann mechanisch ausgeführt werden. An seelischen Regungen kennt man nur starke Verschüchterung und Misstrauen gegen jeden. Sieht er Dinge, die ihm begehrenswert oder irgendwie nützlich erscheinen, so bricht ungehemmt die Gier aus (Essen, Kleidung, Gerät).

Psychologische Erklärung: Das furchtbare Erlebnis zwang

a) zur seelischen Abkapselung,
b) zur brutalsten Ausnutzung aller Möglichkeiten, das eigene Leben zu erhalten.
– Moral des Wolfsrudels –

Schwere psychologische Komplexe und Hemmungen haben sich gebildet. Die Gefangenschaft hat diese Menschen nicht geläutert oder gebessert. Sie haben viel vom eigentlichen Mensch-Sein verloren. Sie sind Dostojewskynaturen geworden. Zu uns kommt das „Strandgut“ der Ostheimkehrer: Heimatlose, total Ausgebombte, Menschen, die Ihre Angehörigen verloren haben. Wer noch jemand hat, ist selten bereit, zu uns zu kommen; denn den treibt es mit der letzten Kraft zu den Angehörigen.

Beispiele zu dem Aufgeführten:

1. Im Munsterlager wurden zwei sich um eine Kippe zankende Heimkehrer vom englischen Sergeanten angefahren. Beide fielen auf die Knie und riefen mit flehend erhobenen Händen: „Hab Erbarmen, Herr!“

2. Nach dem Ausladen in Munsterlager standen vor Kälte zitternde, in Lumpen gehüllte Gestalten und warteten völlig apathisch auf weitere Anordnungen, während die gleichzeitig aus England eingetroffenen Gefangenen ungeduldig den Abtransport forderten und die entsprechenden Vorkehrungen trafen. Als ihre Seesäcke ausgeladen wurden, drängten mehrere aus Russland kommende Gefangene hinzu und starrten mit gierigen Blicken, darauf lauernd, wie sie etwas „abservieren“ könnten.

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