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Walther von Hollander, Frauenfragen – Frauensorgen (1946)

Die Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs und der unmittelbare Nachkriegszeit haben in vielfältiger Weise die traditionellen Rollenbeziehungen und Erwartungshaltungen der Geschlechter in Frage gestellt. Der Kolumnist und Rundfunkmoderator Walther von Hollander gibt 1946 unterschiedliche Formen des Umgangs von Frauen mit dieser Erfahrung wieder: Neben positiven Reaktionen auf die neugewonnene Selbständigkeit stehen die unbewältigte Trauer über den Verlust des Partner und der zermürbende Kampf gegen fortdauernde Vorurteile im Berufsleben. Im Gegensatz zu konservativen Kritikern, die in der Nachkriegszeit den Verlust des traditionellen Frauenbildes beklagen, deutet Hollander die Schicksale positiv als Beleg dafür, daß Frauen auch außerhalb der Ehe ein vollwertiges Leben führen können.

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Seit ich über den Nordwestdeutschen Rundfunk über einige Eheprobleme gesprochen habe, bekomme ich Briefe über Briefe mit den seltsamsten Fragen, mit Fragen, die niemand erschöpfend beantworten kann, der nicht den ganzen Lebenskreis des Fragenden kennt, und die doch beantwortet werden müßten, weil es allgemeine Fragen sind, gestellt von der allgemeinen Not. Direkte Antworten, erschöpfende Wegweisungen gibt es freilich nicht. Die muß sich jeder für sich in einem schweren Kampf mit dem Engel erringen. Aber es mag sein, daß wir durch die Betrachtung der einzelnen Fragen auf typische, verbindliche Situationen stoßen, aus denen heraus wenigstens eine gewisse Klärung und Erhellung möglich ist.

Da schreibt eine Frau aus dem Industriegebiet: Wir heirateten 1934. Mein Mann war Ingenieur in einer Flugmotorenfabrik, ein auf seinem Gebiet hochbegabter, in seine Arbeit verbissener Mann. Er verdiente gut. Wir hatten ein Häuschen im Sauerland, eine Autostunde von der Stadt, wir hatten ein Auto. Wir bekamen sehr bald zwei Kinder. Meinen Mann sah ich abends eine Stunde, wenn er todmüde von der Arbeit kam. Wenn er einmal früher kam, saß er die halbe Nacht an seinem Zeichentisch, brütete, und ich hörte ihn von meinem Bett aus mit sich reden und fluchen. Er war überhaupt ein harter Mann. Wenigstens sagten das seine Untergebenen, und seine Vorgesetzten liebten ihn nicht, weil er schroff seine Ansichten vertrat und jedem seine Meinung sagte, auch wenn er ihn nicht darum bat, ich selbst habe nicht unter seiner Schroffheit zu leiden gehabt. Gegen mich war er immer gleichmäßig nett. Nie allerdings herzlich, und zu den Kindern hatte er keine starke Bindung. Wie auch? Er sah sie ja kaum. Im Kriege wurde alles noch schlimmer. Er kam höchstens einmal wöchentlich heraus. Da er an geheimnisvollen Waffen arbeitete und außer seiner Arbeit nichts in seinem Leben vorkam, wurde er fast stumm. Ich weiß darum nicht, was für ein Streit in seinem Werk gewesen ist. Jedenfalls wurde er ganz plötzlich eingezogen, obwohl er völlig unentbehrlich war. Er kam als gedienter Mann sofort hinaus und fiel bald. Mein Leben änderte sich dadurch nur wenig. Das mag hart klingen. Aber es ist so. Wir hatten einiges erspart. Das Haus ist gut vermietet. Wir wohnen im Dachgeschoß, und ich habe eine Arbeit als Sekretärin in der Nachbarstadt. Es könnte alles gut sein. Aber da ist ein Mann aufgetaucht. Wieder ein sehr tüchtiger Mensch, ein Architekt, jetzt schon gut beschäftigt und voller Einfälle, die ihn bestimmt bald in eine ausgezeichnete Position bringen werden. Er liebt mich und will mich heiraten. Sie werden nun sagen: Na, also! Was für ein Glück für diese Frau! Dasselbe sagt meine Mutter und sagen meine Freundinnen. Aber ich will nicht heiraten. Oder wenn ich nochmal heirate, dann einen zarten Menschen, der mich nötig hat, den ich führen und beschützen kann. Denn wohin haben uns die Männer geführt? Erst war es ein ödes Arbeitsleben – und nun? Finden Sie nicht, daß die Männer lauter Unsinn angerichtet haben und nicht herausfinden? Und da soll ich wieder so einen Mann heiraten? Muß ich das tun?

Ein zweiter Brief: Mein Mann ist seit zwei Jahren tot. Ich kann ihn nicht vergessen. Ich habe zwei Freundschaften mit Männern gehabt. Aber das waren so Freundschaften aus Verzweiflung. Daraus konnte nichts werden. Ein, zwei Monate ... dann war ich so erbittert, daß ich Schluß machte. Jeden muß ich mit meinem Toten vergleichen. Andere Frauen können doch vergessen. Warum ich nicht? Für mich ist die Liebe eine Strafe. Wer einmal geliebt hat, muß immer einsam sein.

Und aus einem dritten Brief: Ich bin fünfunddreißig. 1944 lernte ich ihn kennen. Meine Eltern waren schon ausgebombt. Ich wohnte sehr weit draußen ... zum erstenmal allein. Er kam jeden Abend. Eine herrliche Zeit. Dann ging er, seine Frau suchen, die Anfang 1945 aus Ostpreußen flüchtete. Ja ... er war verheiratet. Ich wußte das. Aber es war mir einerlei. Er schrieb noch einmal. Seitdem ist er verschollen. Ich warte auf ihn. Was für ein Unsinn, sagte ich mir. Aber kann man dagegen angehen? Das Schlimmste ist: mein Leben vergeht mit dem Warten. Jeden Tag warte ich, und ich tue nichts anderes als warten.

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