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Ein Journalist kommentiert die Notwendigkeit, der frühkindlichen Bildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken (30. Juni 2006)

Ein Journalist legt die Notwendigkeit besserer, umfassenderer und innovativer frühkindlicher Bildung dar und kritisiert den mangelnden politischen Willen, die notwendigen Mittel zu deren Realisierung zur Verfügung zu stellen.

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Der Schatz der frühen Jahre

Die Kitas sollen uns aus Integrationskrise, demografischer Katastrophe und Schulmisere retten, das Wertevakuum füllen und Fundament des Bildungssystems werden. Und all das soll natürlich gar nichts kosten.


So sieht Bildung aus: In der Kita Am Zeisigberg können die Kinder beim Treppensteigen rechnen lernen. Jede Stufe, die zu ihrem Spielhaus führt, trägt neuerdings eine Ziffer. Wer zwei Schritte macht und drei dazu, landet bei der Fünf. Mathematik im Vorübergehen. Die Stiege mit Zahlen zu bestücken ist nur eine der vielen kleinen Ideen, die der Kindertagesstätte im brandenburgischen Städtchen Müllrose eine Auszeichnung eingebracht haben. Seit Herbst vergangenen Jahres ist sie stolze Trägerin des Deutschen Kindergarten-Gütesiegels, einer Art TÜV-Plakette für gute Kita-Qualität.

Rund 200 Kindertageseinrichtungen haben sich mittlerweile von PädQUIS, einem Institut der Freien Universität Berlin, prüfen lassen, 40 Prozent im ersten Anlauf mit Erfolg. Alles werde in Deutschland getestet, Autos, Tiefkühlpizzas, Schönheitscremes, sagt Wolfgang Tietze, der Erfinder des Gütesiegels: »Nur über die Qualität von Kindergärten weiß man bislang wenig.« Dabei wirkt es sich noch Jahre später aus, wenn Kinder ihre durchschnittlich 4000 Kita-Stunden in einer guten Einrichtung verbringen. Sie haben einen größeren Sprachschatz, zeigen bessere Leistungen in der Schule und ein positiveres Sozialverhalten.

Als Spielzimmer des Bildungshauses galt der Kindergarten noch vor wenigen Jahren. Jetzt soll er zum Fundament werden. Denn schon bei den Kleinsten, lautet neuerdings die Devise, beginnen die deutschen Schulprobleme. Unsere Migrantenkinder verstehen in der ersten Klasse kaum ein Wort Deutsch? Ab in die Kita zum Sprachtraining! Frauen sollen Kinder kriegen und zugleich arbeiten? Schafft endlich mehr Kindergartenplätze, wo auch Akademikerinnen ihren Nachwuchs guten Gewissens lassen! Ob Schulmisere oder Integrationskrise, demografische Katastrophe oder Wertevakuum – kaum ein gesellschaftliches Problem, das der Kindergarten nicht richten soll.

Auch die Politik hat die Frühförderung entdeckt. Wenn es um die pädagogische Allzweckwaffe Kita geht, regiert in Deutschland die ganz große Koalition von PDS bis CSU. Fast alle Bundesländer haben ihre Kindergartengesetze umgeschrieben und so genannte Bildungspläne erlassen, die festlegen, was die Kinder bis zur Einschulung lernen sollen. Nordrhein-Westfalen etwa will die Sprachförderung sowie die enge Zusammenarbeit mit der Grundschule zur Pflicht erheben. Die Kitas sollen den Entwicklungsstand jedes Kindes dokumentieren und gesundheitliche Schäden erkennen. Der neue Ehrgeiz kommt bei den Erziehern durchaus an. »Erstmals fühlen sich die Kollegen ernst genommen«, sagt Norbert Hocke von der Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft (GEW).

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