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Die neue Linke (25./26. Juni 2005)

Die „merkwürdige Ost-West-Allianz“ zwischen der westdeutschen Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) und der PDS, so der Journalist Jens Bisky, sei eine Zäsur in der Geschichte der Einheit und in der Entwicklung des Parteiensystems in der Bundesrepublik. Trotz aller Unterschiede zwischen beiden Gruppierungen verbinde sie das Gefühl der Angst vor dem sozialen Abstieg und der Nichtbeachtung ihrer Interessen. Bisky (geb. 1966) ist der älteste Sohn des ostdeutschen Politikers Lothar Bisky (PDS/Die Linke).

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Die Aufgeregten
Die nostalgische Linke passt bestens in die Gegenwart



Noch kann keiner wissen, ob aus der Kombination der beiden Politdiven Oskar Lafontaine und Gregor Gysi eine Art Ostalgieshow mit geladenem Saarländer wird, oder ob es eine List der Vernunft war, den Kamerajunkies keinen anderen Ausweg als den der Vereinigung zu lassen. Bis vor wenigen Tagen jedenfalls schien eine gesamtdeutsche Partei links von Rot-Grün unmöglich. Die neuen Lifestyle-Rebellen, die sich auf dem globalisierten Weltanschauungsmarkt bedienen und ab und an bei Attac mitmachen, scheuen allzu feste Organisationsformen. Die revolutionäre Avantgarde des Landes hat bereits vor 15 Jahren ihre Abschiedsvorstellung gegeben. Am 12. Mai 1990, gegen 11 Uhr, versammelte sie sich vor der Alten Oper in Frankfurt am Main, um zum Römerberg zu laufen. „Nie wieder Deutschland" hieß die Losung. Das konnte in diesen Tagen nur heißen: Keine Währungsunion! Keine Vereinigung! „Gegen die imperialistische Einverleibung – für ein sozialistisches Deutschland" stand auf Transparenten.

Dem Schriftsteller Gerd Koenen erschien die Demonstration wie ein Fastnachtsumzug der Wiedergänger, ein letztes Zusammentreffen jener, die die revolutionäre Flamme hüteten. Zwar marschierte auch ein Block in den Blauhemden der Freien Deutschen Jugend, aber den Ton gab die West-Linke an, wenn auch in geborgten Kostümen. Ein Schalmeienzug spielte, auf einem Wagen mit großer Weltkugel stand Lenin als Prolet verkleidet und fegte das Ausbeutergeschmeiß vom Globus. Danach kam mit Heavy-Metal-Gesängen der Schwarze Block.

Wasserwerfer fuhren auf, Steine flogen. Krawalle, Verletzte und Festnahmen bestätigten das Weltbild der Welterlöser. Über Emanzipation und Befreiungsstrategien hatte die West-Linke in endlosen Seminaren und Dutzenden Zeitschriften diskutiert. In dem Augenblick, in dem die DDR-Bürger die Despotie abschüttelten und sich aus der Unmündigkeit befreiten, fiel der revolutionären Avantgarde wenig Besseres ein als von Großstrategien des Kapitals zu faseln.

Auch die PDS lehnte damals die Vereinigung nach dem Fahrplan Helmut Kohls ab. Zwar war ihre Kommunistische Plattform in Frankfurt mit von der Partie, aber es hätte den politischen Tod der Partei bedeutet, wäre sie geschlossen in die Marschkolonnen der Grüppchen eingeschwenkt. „Deutschland – einig Vaterland" hatte schließlich auch Hans Modrow gefordert, und die Helleren unter denen, die eben noch SED-Genossen gewesen waren, wussten, dass sie den Ostdeutschen nicht schon wieder mit dem abstrakten Kampfspiel „Proletariat gegen Bourgeoisie" kommen konnten. Ein Ohr für Verlustängste und Alltagsnöte war wichtiger als ein geschichtsphilosophisches Großszenario.

Gegen die Währungsunion und den raschen Beitritt der neuen Länder sträubte sich lange auch Oskar Lafontaine. Er hatte früh begonnen, die Stimmung gegen die DDR-Bürger zu schüren, die nach dem Fall der Mauer in Scharen in den Westen strömten, und gefordert, die Zahlungen an sie zu streichen. Damalige Weggefährten bezeugen, dass er die Einheit verhindern wollte. Die Grünen schmollten mit dem Weltlauf. Wie auch viele gemäßigte Linke entwickelten sie eine plötzliche Nostalgie für die Bonner Republik. Aber weder Getöse noch Rückzug halfen. In den Neunzigern plagten sich alle, die es sich links von der SPD gemütlich gemacht hatten, mit dem unerwarteten Ende des Kalten Krieges. Es war die Stunde der Renegaten und Revisionisten. In der SPD wie bei den Grünen gewannen Pragmatiker und Realos. Links davon schienen sich nur Sektierer oder jugendliche Rebellen zu tummeln. Oder die Regionalpartei PDS, von der man glaubte, sie würde bald verschwinden.

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