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Die „Mutter aller Reformen” (8. November 2006)

Nach jahrelangen Verhandlungen wurde im Sommer 2006 die so genannte Föderalismusreform von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. In dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, einem Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung, werden die Geschichte der Reform und die wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkte vorgestellt.

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IV. Föderalismusreform: Ein Anfang ist gemacht

456. Der Sachverständigenrat hat in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass er in der Ausgestaltung des Föderalismus in Deutschland ein wesentliches Hindernis für die Umsetzung grundlegender Reformen sieht (JG 2004 Ziffern 787 ff.; JG 2005 Ziffern 30 ff.). Regelmäßig bedurfte mehr als die Hälfte der in den vergangenen Wahlperioden im Deutschen Bundestag behandelten Gesetze der Zustimmung des Bundesrates; wichtige wirtschaftspolitische Vorhaben waren praktisch in jedem Fall an eine Zustimmungspflicht des Bundesrates gebunden. Vor allem bei unterschiedlichen politischen Kräfteverhältnissen im Deutschen Bundestag und im Bundesrat verzögerten sich durch die Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates die Entscheidungsprozesse, und gerade in zentralen Fragen kamen Kompromisse häufig auf unsachgemäße und derart intransparente Weise zustande, dass die Verantwortung für einnahme- und ausgabenrelevante Entscheidungen kaum nachvollziehbar war. Kennzeichen des so genannten „kooperativen Föderalismus“ ist darüber hinaus, dass die Autonomie insbesondere der Kommunen und der Bundesländer in Bezug auf Entscheidungen auf der Einnahmeseite ihrer Haushalte stark eingeschränkt ist. Ohne eine solche Autonomie und die klare Zuordnung von Entscheidungskompetenzen kann ein föderatives System seinen eigentlichen Vorzug ? die Bereitstellung eines eng an den Präferenzen der Bürger orientierten Angebots an öffentlichen Leistungen ? aber gerade nicht entfalten. Der Rat hat sich deshalb für eine Entflechtung der Bund-Länder-Beziehungen durch eine klare Zuordnung von Entscheidungskompetenzen ausgesprochen. Darüber hinaus sollten unklare Verantwortlichkeiten sowohl auf der Ausgabenseite durch den Abbau von Mischfinanzierungen als auch auf der Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte durch ein größeres Maß an Steuerautonomie der staatlichen Ebenen verringert werden.

457. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Föderalismusreform war in der Politik schon länger vorhanden. Im Jahr 2003 wurde eine Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung eingesetzt. Obwohl zentrale und naturgemäß besonders konfliktträchtige Fragen im Bereich des Fiskalföderalismus gar nicht erst zum Untersuchungsauftrag der Kommission zählten, erklärten deren Vorsitzende das Vorhaben im Dezember 2004 für gescheitert. Die Ergebnisse der Kommissionsberatungen flossen allerdings in die Verhandlungen ein, die im Herbst 2005 zwischen CDU/CSU und SPD über die Bildung einer Großen Koalition geführt wurden. Letztlich wurde dem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 ein umfangreicher Anhang angefügt, der die zwischen den Koalitionspartnern einerseits und zwischen Bund und Ländern andererseits vereinbarten Vorschläge für eine Änderung des Grundgesetzes enthielt. In nahezu unveränderter Form gingen diese Vorschläge in das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes sowie in das Föderalismusreform-Begleitgesetz ein, die beide am 30. Juni 2006 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurden; die Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 7. Juli 2006.

458. Im Mittelpunkt der nunmehr vereinbarten Föderalismusreform steht eine Entflechtung der Entscheidungsprozesse. Insbesondere soll der Anteil der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Bundesgesetze durch eine Neuformulierung von Artikel 84 Grundgesetz reduziert werden, auf welchen bislang das Zustimmungserfordernis in ungefähr der Hälfte der zustimmungspflichtigen Gesetze zurückzuführen war (Burkhart und Manow, 2006).

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