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OMGUS-Umfragen: Einstellung der Deutschen zu den Nürnberger Prozessen (1945/46)

Im Herbst 1945 begann in Nürnberg vor dem Internationalen Militärgerichtshof der Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher. Die Umfragen, die den Prozess begleiteten, zeigten zunächst, dass der Prozess nicht nur eine juristische Funktion hatte, sondern die Berichterstattung über ihn bewirkte auch einen Lerneffekt bei den Deutschen: Sie wurden nachdrücklich mit den Verbrechen des NS-Regimes konfrontiert. Während dieses ersten Prozesses hielt eine große Mehrheit das Verfahren für fair und die Angeklagten alle für schuldig. Erst bei späteren Verfahren sollte von deutscher Seite der Vorwurf der „Siegerjustiz“ erhoben werden.

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Einstellung der Deutschen zu den Nürnberger Prozessen

Befragte: Zusammenfassung von acht Untersuchungen, mit Anzahlen von 331 befragten Personen im November 1945 und 2696 im August 1946.
Untersuchungszeitraum: unspezifisch; umfangreiche Erhebungen zwischen 26. Oktober 1945 und 9. August 1946 (6 Seiten).


Eine kurz nach der Einberufung des Internationalen Militärtribunals im November 1945 durchgeführte Erhebung ergab, dass 65 Prozent der deutschen Bevölkerung in den wenigen dazwischen liegenden Wochen etwas aus dem Prozess gelernt hatten. Bei späteren Untersuchungen stieg der Anteil jener, die sich informiert hatten, auf 87 Prozent an. Zum Untersuchungszeitpunkt nach dem Gelernten gefragt, gaben 29 Prozent an, zum ersten Mal von den Konzentrationslagern gehört zu haben. Bei der zweiten Erhebung waren es 57 Prozent. Im Verlauf dieser zweiten Erhebung gaben 30 Prozent der Befragten an, durch die Prozesse zum ersten Mal von der Vernichtung der Juden gehört zu haben. In der ersten Befragung gab es keinen einzigen, der angab, dieses Wissen erlangt zu haben.

Der Anteil der Befragten, der davon überzeugt war, man würde den Nazis einen fairen Prozess machen, sank nie unter 75 Prozent. Die acht Untersuchungen ergaben durchschnittlich 80 Prozent, die an einen fairen Prozess glaubten; vier Prozent meinten, der Prozess würde nicht fair sein, 16 Prozent hatten keine Meinung.

Die Mehrheit der Bevölkerung hielt die angeklagten Kriegsführer für schuldig. Siebzig Prozent hielten alle für schuldig. Unter den neun Prozent, die eine Person für nicht schuldig hielten, fiel der Name Hess am häufigsten. Sechzig Prozent der Befragten hielten die Anklage gegen alle Organisationen – Reichskabinett, NSDAP-Führungsspitze, SS, SA, Gestapo sowie Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht – für gerechtfertigt. Ein Viertel (25%) betrachtete eine solche Anklage als nicht gerechtfertigt.

Fast die Hälfte der Befragten war davon überzeugt, dass die Angeklagten zum Tode verurteilt würden. Die ausgewählten Gruppen unterschieden sich deutlich bei der Frage, ob alle Angeklagten dieselbe Strafe erhalten würden. Mehr als ein Drittel (37%) bejahte diese Frage; und fast alle erwarteten die Todesstrafe. Beinahe die Hälfte (46%) meinte, die Strafe würde je nach Angeklagtem unterschiedlich ausfallen.

Siebzig Prozent waren der Meinung, dass es zusätzlich zu den 21 Personen, denen der Prozess gemacht wurde, noch andere gäbe, die Kriegsverbrechen begangen hätten. Als Schuldige nannten die Befragten am häufigsten Naziparteimitglieder und weniger hochrangige Funktionsträger. Fast 60 Prozent hielten es für notwendig, nach den Nürnberger Prozessen Anklage gegen diese Personen zu erheben, eine ähnlich große Gruppe wusste aber nicht, gegen welche dieser Gruppen Anklage erhoben werden sollte. Und obwohl sie nach Ende des Prozesses gegen die 21 Hauptangeklagten weitere Prozesse erwarteten, wussten 82 Prozent der Menschen nicht, dass man die damals in Gefangenenlagern festgehaltenen politischen Führer vor Gericht stellen wollte.

Die Untersuchungsreihe ergab, dass die Mehrzahl der Leser Zeitungsberichte über die Prozesse für vollständig und vertrauenswürdig hielten.



Quelle: A. J. und R. L. Merritt, Public Opinion in Occupied Germany, The OMGUS Surveys. Urbana, IL, 1970, S. 93-94.

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Erica Fisher

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