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Friedensmission in Kroatien: Bundestag beschließt die Entsendung von Bundeswehreinheiten (6. Dezember 1995)

Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Dayton befürwortet der Bundestag mit großer Mehrheit die Stationierung von 4.000 Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung der internationalen Friedenstruppe. In den Exzerpten der Bundestagsdebatte kommen unter anderem Kanzler Kohl, der SPD-Parteivorsitzende Rudolf Scharping und der Vertreter der Grünen, Joschka Fischer, zu Wort und erläutern ihre Haltung zu dem Beschluss.

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Am 6. Dezember kam es im Bundestag zur Debatte über die Stationierung von Bundeswehreinheiten in Kroatien, wobei im Vorfeld der Erörterungen – die Bundesregierung hatte am 28. November die Stationierung beschlossen – die Sozialdemokraten mehrheitlich ihre Zustimmung bereits signalisiert hatten. Auch bei mehreren Abgeordneten der Grünen zeichnete sich ein Votum für den Bosnien-Einsatz ab, obwohl damit wichtige Prinzipien früherer Parteitagsbeschlüsse aufgegeben und die ablehnende Haltung des jüngsten Parteitags zur Stationierung ignoriert wurde. Vor allem Fraktionssprecher Joschka Fischer hatte in letzter Zeit immer wieder betont, daß ein unbedingtes Festhalten am Pazifismus nicht situationsgerecht sei.

Bundeskanzler Helmut Kohl gab zu Beginn der Aussprache eine Regierungserklärung ab, in der er das Parlament um breite Unterstützung für die Akzeptanz einer Stationierung deutscher Soldaten zwecks Friedenssicherung bat. Unter anderem sagte er: »Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Beschluß der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte in Bosnien-Herzegowina vor. Die Bundesregierung hat diesen Beschluß im vollen Bewußtsein der großen Verantwortung, die damit verbunden ist, getroffen. Die Aufgabe der Bundeswehr hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes grundlegend verändert. Die Erwartungen der Völkergemeinschaft an das wiedervereinte Deutschland sind andere als die, die an die alte Bundesrepublik gerichtet worden waren. [ . . . ]

Wir haben uns diese Entscheidung nicht leichtgemacht. [ . . . ] Wir sind uns bewußt, was dieser Einsatz von unseren Soldaten fordern kann. Wer sich nach vier Jahren eines schrecklichen Krieges an der militärischen Absicherung des Weges zum Frieden beteiligt, setzt sich auch Gefahren für Leib und Leben aus. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat auf dem europäischen Kontinent ein Ausmaß an Leid entstehen lassen, das viele von uns nach den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges nicht mehr für möglich gehalten hätten. Über 250.000 Tote, zwei Millionen Flüchtlinge, Vertriebene, Tausende von vergewaltigten Frauen, Hunderttausende von Verletzten, Zerstörung und Elend in einem unvorstellbaren Maß – all das dürfen wir nicht vergessen, wenn es jetzt darum geht, den Frieden absichern zu helfen. [ . . . ] Mit der Vereinbarung von Dayton ist die Voraussetzung dafür geschaffen worden, daß die Menschen in Bosnien endlich eine realistische Chance auf Frieden haben. Nach viereinhalb Jahren des Leidens kann die Bevölkerung im ehemaligen Jugoslawien endlich wieder mit größerer Hoffnung einem neuen Jahr entgegensehen. [ . . . ] Allen voran gilt unser Respekt, unser Dank und unsere Anerkennung Präsident Clinton und der amerikanischen Administration.

Ohne den Einsatz unserer amerikanischen Partner und Freunde wäre es nicht zu diesem Erfolg gekommen. Ich habe dies auch Präsident Clinton im Namen unseres Volkes am vergangenen Wochenende bei unserem gemeinsamen Besuch bei amerikanischen Truppen in Baumholder nochmals bekräftigt. [ . . . ] Seit über vier Jahren findet dieser Konflikt unmittelbar vor unserer Haustür statt. [ . . . ] Viele Bürger unseres Landes haben in den letzten Jahren durch persönliche Hilfe versucht, die Not der Menschen im Kriegsgebiet zu lindern. Viel wurde getan, um das Schicksal der über 400.000 Bürgerkriegsflüchtlinge, die bei uns Aufnahme gefunden haben, erträglicher zu machen. [ . . . ] Aus der Erfahrung dieses Jahrhunderts wissen wir Deutsche: Um den Frieden auf unserem Kontinent kann es auf Dauer nicht gut bestellt sein, wenn in einem Teil Europas Friede herrscht, während in einem anderen Teil ein blutiger Konflikt ausgetragen wird. Daher sind die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt bereit, gemeinsam mit Großbritannien, Frankreich und anderen Verbündeten Soldaten zur Absicherung des Friedens in das ehemalige Jugoslawien zu entsenden. Auch das gilt es zu bedenken, wenn wir heute über die Entsendung von 4.000 deutschen Soldaten zur Unterstützung der NATO-Friedenstruppe entscheiden. [ . . . ]

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