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Der Reformator als Vater – Luther und sein Sohn (1530 und 1537 [?])

Johann (Hans) (1526-75) war das älteste von sechs Kindern, die dem Reformator Martin Luther und seiner Frau Katharina geboren wurden (außerdem zogen sie vier Waisenkinder auf). Er war zwanzig Jahre alt als sein Vater im Jahr 1546 starb. Nachdem Hans die Universität verlassen hatte, machte er die Rechtswissenschaften zu seinem Beruf. Nachfolgend zwei Briefe seines Vaters. Martin Luther sandte den ersten, auf Deutsch verfassten Brief an seinen Sohn in Wittenberg, als dieser lediglich vier Jahre alt war. Der Brief wurde von der Veste Coburg aus verschickt, wo Luther 1530 während des Augsburger Reichstags weilte. Er schrieb diesen Brief, um seinen Sohn zu ermutigen, fleißig zu lernen. In den Brief ist eine Beschreibung eines wunderbaren Gartens eingewoben, der strebsamen Kindern offensteht. Datum und Adresse des zweiten, auf Latein verfassten Briefes sind umstritten. Geschrieben wurde er als Hans wenigstens elf, jedoch nicht älter als siebzehn Jahre alt war. Der zweite Brief ähnelt dem ersten insofern, als er Freude an Hans’ Fleiß und Fortschritten zum Ausdruck bringt. Luther ermutigt Hans außerdem, gehorsam den Willen Gottes zu befolgen, welcher Fleiß selig spreche, aber ungehorsame Kinder verfluche.

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1. Martin Luther an seinen Sohn Johannes [Hänschen].
[Veste Coburg,] 19. Juni 1530.


Meinem hertzlieben Son Hensichen Luther zw Wittemberg

G. vnd f. in Christo! Mein hertzlieber Son, Ich sehe gern, das du wol lernest vnd vleissig bettest. Thue also, mein Son, vnd fhare fort. Wenn ich heim kome, so wil ich dir ein schon Jarmarckt mit bringen. Ich weis ein hubschen, schonen lustigen Garten. Da gehen viel Kinder innen, haben guldene Rocklin an vnd lesen schone Öpffel vnter den Beumen vnd Birnen, Kirsschen, spilling vnd pflaumen, singen, springen vnd sind frolich. Haben auch schone kleine Pferdlin mit gulden zeumen und silbern Setteln Da fragt ich den Man, des der Garten ist, Wes die Kinder weren? Da sprach er: Es sind die Kinder, die gern beten, lernen vnd from sein. Da sprach ich: Lieber Man, Ich hab auch einen Son, heisst Hensichen Luther, Mocht er nicht auch in den Garten komen, das er auch solche schone Opffel vnd Birne essen mochte vnd solche feine Pferdlin reiten vnd mit diesen Kindern spielen? Da sprach der Man: Wenn Er gerne bettet, lernet vnd from ist, So sol er auch in den Garten komen. Lippus vnd Jost auch. Vnd wenn sie allzusamen komen, so werden sie auch pfeiffen, Paucken, lauten vnd allerley andere Seitespiel haben, auch tantzen vnd mit kleinen Armbrüsten schiessen. Vnd er zeigt mir dort eine feine wiesen im Garten, zu tantzen zugericht, da hiengen eitel guldene pfeiffen vnd Paucken vnd feine silberne Armbruste. Aber es war noch frue, das die Kinder noch nicht gessen hatten, darumb kundte ich des Tantzes nicht erharren, vnd sprach zu dem Man: Ah, lieber HErr, Ich wil flux hingehen vnd das alles meinem lieben Son Hensichen schreiben, das er ia vleissig lerne, wol bete vnd from sey, auff das Er auch in diesen Garten kome. Aber er hat eine Müme Lene, die mus er mit bringen. Da sprach der Man: Es sol ia sein, Gehe hin vnd schreibs im also.

Darumb, lieber Son Hensichen, lerne vnd bete ia getrost vnd sage es Lippus vnd Justen auch, das sie auch lernen und beten, So werdet ir mit ein ander in den Garten komen. Hie mit bis dem lieben Gott befolhen vnd grusse Mume Lenen vnd gib ir einen Bus von meinet wegen.

Dein lieber Vater
Martinus Luther.



Quelle: „Luther an seinen Sohn Hänschen. [Veste Coburg,] 19. Juni 1530“.
In D. Martin Luthers Werke. Weimarer Ausgabe (Sonderedition). Abteilung 3: Briefwechsel. Band 5, S. 377-78.
© 2002 Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar GmbH & Co in Stuttgart/Weimar.

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