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Vom Ziegenhirt in den Alpen zum Griechischlehrer – Thomas Platter (1499-1582)

Thomas Platters (1499-1582) Lebensbericht ist eines der berühmtesten autobiografischen Dokumente, die im sechzehnten Jahrhundert auf Deutsch verfasst wurden. Gegen Ende seines Lebens von Platter auf Drängen seines Sohnes Felix abgefasst, wird von Platters Kindheit als Ziegenhirt im Valais (heute im Südwesten der Schweiz) berichtet sowie seinen bemerkenswerten Wanderungen als reisender Gelehrter. Der hier abgedruckte Abschnitt verfolgt sein Leben bis zum Beginn seiner regulären Schulzeit in Sélestat (deutsch: Schlettstadt) im Elsass. Anschließend ging er nach Basel und Zürich, wo er Zeuge und Teilnehmer der protestantischen Reformation wurde, das Seilerhandwerk erlernte sowie Griechisch und Hebräisch unter dem Kleriker Oswald Myconius studierte. Platter wurde schließlich Schulmeister und Latein- und Griechischlehrer an der Basler Oberschule.

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Die will du, lieber sůn Felix, nun ettlich mall an mich begärt hast, des glichen ouch andre verriempte und glerte menner, die vor ettlich iaren in ir iugent mine discipuli gsin sind, ich sölle von iugend uff min läben beschriben, dan du wie ouch sy manchmall von mier gehört habend, in was grosser armůt von můtter lyb an, demnach in wie vill grosser gferden ich offt bin gsin mins lybs und läbens (erstlich als ich gedient han in den grusamen gebirgen, dem nach als ich den schülen in miner iugend nach bin zogen), ouch wie ich in die ee bin kummen, mich mit miner hußfrowen mit grosser sorg, mü und arbeit mit den minen ernert hab, do dan sömlichs für nämlich dier zů gůttem erschiessen mag, das du betrachtest, wie gott mich manch mall so wunderbarlich erhalten, und du dem herren im himel drum dankest, das er dich von mier erboren, so woll begabet hatt und behüttet, das du nit so hast miessen armůt liden, so kan ich dier das nit abschlachen, sunder <will>, als wyt mier miglich der gedächnuß halb, alles anzeigen, wie und von wem ich erboren und erzogen sige worden.

Und erstlich kan ich kein ding minder wissen, dan zů welcher zyt sich ein ieglichs mit mier verloffen hab. Wie ich dan der zyt miner geburt nach gedacht und gefragt hab, so hatt man zelt 1499; bin an dise welt kummen uff der herren faßnacht, eben als man zů der mäß zamen gelüttet hatt (das weiß ich doby, das mine frind alweg verhoffet hand, ich werde ein priester werden, die will man eben in der zyt zů der meß zamen gelüt hatt; so han ich ein schwester ghan, hatt Christina gheissen, die was alein by der můtter, do sy minen gnäsen ist; die hatt mir das ouch anzeigt). Min vatter hatt Anthoni Platter gheissen, von dem alten geschlecht deren, die Platter gheissen hantt; die hand iren namen von eim huß, das ist uff einer breitten blatten, das ist ein felsen, uff eim gar hohen berg by eim dorff, das heisset Grenchen, ghert in den zenden und kilchhörin Visp; ist ein vernampt dorff und zenden in Walleß. Die můtter aber hatt gheissen Amilli Summermatterin, von eim gar grossen gschlecht, das man hat genempt die Summermatter, welche ein vatter ghan hat, der ist 126 <jar> alt worden, dan 6 jar vor sim tot han ich selber mit im gered, welcher sprach, er wißte noch 10 man in Visperkilchöri, die all elter werin, dan er dozmall waß; der hat erst ein drissig järige dochter gnon, als er 100 järig was, und ein sun mit iren uberkummen etc. Er hat sün und döchtren verlassen, deren ettlich wyß, ettlich graw sin worden, eb er gestorben sig. Den nampt <man> den alten Hans Summermatter. Das huß, darin ich erboren bin, ist an Grenchen, heisset An den Graben; darin bistu, Felix, selber gsin.

Als sy minen gnäsen was, hand iren die brist we than, das sy mich nit hat mögen seigen; han ouch sunst nie kein frowen milch gsogen, wie mier min můtter sälig selber gsagt hatt; das was mins ellentz ein anfang. Han also durch ein hörenlin, wie im land der bruch ist, wen man die kind entwent, miessen kiemilch sugen; dan man gibt den kinden nit zů essen, byß sy offt 4 oder 5 jar alt werdent, sunder alein milch zů sugen. Mier starb ouch min vatter so zittlich, das ich mich nit mag bedenken, das ich in ie gesächen hab. Dan wie im land der bruch ist, das vast alle wiber wäben wie ouch näien können, gand die man vor dem winter uß dem land (vast in Berner piet), wullen zů kouffen; die spinnent den die wiber und machend landdůch druß zů röken und hosen dem purß volk. Also was min vatter ouch umb Thun in Berner piet gan wullen kouffen; stieß in pestelentz an, starb und ward zů Stäfyßburg (ist ein dorff by Thun) begraben. Bald demnach mannet die můtter wider, nam ein man, der hieß Heintzman am Grund, ist ein huß zwischend Visp und Stalden. Kamend also die kind alle von iren, weiß nit eigentlich, wie vill deren gsin sind. Ich han miner geschwisterget 2 schwestren kend; eine ist im Entlebůch, do sy gmannet hatt, gstorben, die hatt Elßbett gheissen; die ander hieß Christini, ist in einer pestelentz selb 9 ob Stalden an Burgen gstorben. Brüder han ich kent: einer hieß Simon, einer Hans und <einer> Joder. Simon und Hans sind in kriegen bliben, Joder ist am Thuner see zů Oberhofen gestorben, dan die wůchrer hatten unsren vatter verderbt, das mine gschwisterget vast alle, wie bald sy hand gmögen, miessen dienen. Und die will ich das iüngst was, hand mich mine bäßlin, des vatters schwestren, ietliche ein will ghan.

Do mag ich mich worlich bedenken, das ich by einer was, die hieß Margret; die trůg mich in ein huß, das hieß in der Wildin (ist an Grenchen). Do was ouch miner bäsin<en> eini; mit deren machten die wiber, ich weiß nit was; do nam, die mich trůg, ein püschelin strow, das an gfert in der stuben was, leit mich druff uff den tisch, und lyff sy den andren wibren zů. Min bäsinen waren einest nachtz, nach dem sy mich nider gleit hatten, zliecht gangen; do was ich uffgestanden und durch den schne näbend eim wiger in ein huß geliffen; do sy mich nit funden, waren sy in großen nötten, funden mich in dem huß zwischend zweien mannen ligen, die wärmetten mich, dan ich was im schnee erfroren. Als ich ouch ein wyll by der selben bäsin hernach in der Wildin was, kam min eltester brůder uß eim Zafoier krieg, bracht ein höltzins rößlin, das zoch ich an eim faden vor der thür. Do meinnet ich gäntzlich, das rößlin könde gan, daruß ich kan verstan, das die kind offt meinnent, ire tüttin, und was sy hand, sigend läbendig. Min brůder schreit ouch mit eim fůß über mich und sprach: «Oho Tomillin, nun wirst nit mer waxen»; das bekümert mich.

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