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Johanna Trosiener, Tochter eines Kaufmanns aus Danzig und spätere Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, sinniert über ihre Kindheit und Jugend in den 1770er Jahren (Rückblick)

Diese Textauszüge entwerfen ein lebendiges Bild der wohlhabenden und stabilen Welt der Kaufmannsschicht in der Stadtrepublik der baltischen Hafenstadt Danzig, welche unter polnischer Oberhoheit stand, jedoch weitgehende Autonomie genoss. In den folgenden Textpassagen beschreibt Johanna Schopenhauer (1766-1838) ihre ambivalente Erziehung, welche sie zwar höherer Bildung und den Künsten nahebrachte, doch sie gleichzeitig weit genug davon entfernt hielt, um sie heiratsfähig zu belassen. Sie litt später unter der unglücklichen Ehe, in die sie ihr Vater gezwungen hatte. Allerdings gelang es ihr, während ihres Ehelebens ihre literarischen Talente zu entwickeln, und nachdem ihr Ehemann verstorben war, wurde sie in Hamburg, Weimar und Bonn zu einer bekannten Geistesgröße und die erste deutsche Autorin, die von ihren Tantiemen leben konnte.

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Jugendleben und Wanderbilder

Johanna Schopenhauer


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[Unterricht in der Schule, beim Privatlehrer und beim Nachbarn]

[Im Nachbarhause wohnte der Prediger der englischen Kolonie Danzigs, Dr. Jameson.]

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Als ich heranwuchs, wurde Jameson mein Lehrer, mein Führer, mein Berather, und blieb mir zur Seite, und wachte über meine junge Seele, und ließ nicht von mir, bis die Zeit herangekommen war, in welcher ein Anderer die Verpflichtung, für mich Sorge zu tragen, mit meiner Hand am Altare übernahm [ . . . ]

Kaum hatte ich das dritte Jahr meines Lebens zurückgelegt, als ich schon täglich zweimal, Vormittags und Nachmittags, in eine kaum zweihundert Schritt von meinem elterlichen Hause entfernte Schule auf ein Paar Stunden geschickt wurde.

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Stillsitzen lernen war Alles, was fürs erste von mir gefordert wurde; anfangs protestirte ich sehr laut gegen diese Zumuthung, doch Niemand kehrte sich daran. Ich mußte den saueren Weg zur Schule gehen, und ging schon am zweiten Tage ihn gern, denn außer mir waren noch zwanzig Kinder aus der Nachbarschaft, Knaben und Mädchen, zu dem nämlichen Zweck dort versammelt, von dem ich aber nicht rühmen kann, daß er dadurch sonderlich gefördert worden wäre [ . . . ]

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