GHDI logo


Auszüge aus der Flugschrift von Gabriel Riesser zur Emanzipation der Juden (1831)

In einer entsprechenden Antwortschrift zur Verteidigung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Juden gegenüber den Vorschlägen von Herrn H.E.G. Paulus (1831) wandte sich der Hamburger Jurist und Vize-Präsident der Frankfurter Nationalversammlung, Gabriel Riesser (1806-1863), entschieden gegen den Ansatz von Paulus im Hinblick auf die Emanzipation der Juden: Christliche Überzeugungen seien keine Voraussetzung für Staatsbürgerrechte.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 5


Bürgerliche Beschäftigung der Juden

Ein dritter Punkt, den Herr Dr. P. vom Standpunkt des öffentlichen Interesse aus gegen die Juden geltend macht, ist die bürgerliche Beschäftigung Vieler von ihnen, der Handel, und die Art, wie sie ihn treiben. Dieser Gegenstand führt, von seinem rechten Standpunkte, von einfachen, den allgemeinen Nutzen im Auge habenden staatswirthschaftlichen Grundsätzen aus betrachtet, zu den allereinfachsten legislativen Resultaten, wird aber leider oft verwirrt durch das Einmischen fremdartiger religiöser (oder, wie Hr. Dr. P. sie genannt haben will, nationaler) Beziehungen, woran sich denn vielfach eine Tendenz anschließt, die das Interesse der Wenigen, die Vortheil davon hoffen, die Juden von der Konkurrenz ausgeschlossen zu halten*), auf Kosten des Nutzens der Gesammtheit der Konsumenten, die von jeder Konkurrenz, da sie unbedingt frei zu wählen befugt sind, Vortheil ziehen, geltend zu machen und diese ihre Absicht unter allerhand Vorspiegelungen zu verhüllen sucht.

[ . . . ]

Aber lächerlich ist es, [ . . . ] als wenn der Handel derjenigen Juden, die einen gesetzlich Jedem erlaubten Handel – denn für den unerlaubten sind Straf-Gesetze da, die auf Juden, wie auf Christen anwendbar sind – treiben, etwas besonderes und besonders schädliches sei. Herr Dr. P. spricht hier von Dingen, von denen er einmal von ferne hat reden hören, ohne einen deutlichen Begriff damit zu verbinden. Er weiß offenbar nicht, wovon er spricht, wenn er z. B. S. 40 das Abschließen von Geschäften zwischen Käufern und Verkäufern, das Makler-Geschäft, als etwas verderbliches, den Juden ganz eigenthümliches darstellt. Jeder, der den Gang kaufmännischer Geschäfte in Handels-Städten nur wenige Augenblicke beobachtet hat, hätte ihm sagen können, daß dort alle Handels-Geschäfte durch Makler abgeschlossen werden, und daß z. B. in Paris der Stand der Waaren= und Wechselmakler (courtiers de commerce, agen[t]s de change) ein sehr geachteter ist.

Herr Dr. P. spricht auch sehr viel vom „Schacher", und definirt ihn S. 47 als einen „wegen eines unbestimmten wucherlichen Gewinns mit jedem schnell zu erhaschenden Gegenstande getriebener Zwischenhandel." Ich will es praktischen Staatsmännern überlassen, zu entscheiden, ob dieser Begriff die nöthige Bestimmtheit hat, um zur Grundlage eines Gesetzes zu dienen. Aber vor Allem ist hier die einfache Frage zu stellen, die allein zu einem Resultate führen kann, und über welche Herr Dr. P. nirgends eine rechte Auskunft giebt, und dadurch die Sache in ein verwirrendes Helldunkel bringt: ist die hier bezeichnete Art des Handels, für Juden und Christen, erlaubt oder verboten? Denn das muß vorausgesetzt werden, daß die Gesetzgebung keines civilisirten**) Staats mehr den ersteren etwas erlaubt, was sie den zweiten verbietet: und sollte so etwas noch irgendwo existiren, so wäre es die Aufgabe der Gesetzgebung, dergleichen Unkraut sofort mit der Wurzel auszureißen. – Ist sie nun erlaubt, und halten Die, die sie treiben, sich in den Gränzen des gesetzlich erlaubten, so ist es Unsinn, es gegen sie geltend zu machen, daß sie sich eines ihnen gesetzlich freistehenden Erwerbs bedienen. Ist sie aber verboten, wie es allenthalben der Wucher, wie es in manchen Ländern, für Juden und Christen, der Hausirhandel ist, so daß Diejenigen, die sie treiben, sich der Uebertretung eines Gesetzes schuldig machen, nun so bestrafe man sie dafür mit der gesetzlichen Strafe, lasse aber ihr Vergehen Die nicht entgelten, die nichts gemein damit haben. Lauheit in der Anwendung der bestehenden Gesetze, Nachlässigkeit der Richter und Beamten und daraus hervorgehende Straf-losigkeit der wirklichen Uebertreter wird doch wohl eine Gesetzgebung, die auf Ehre hält, nicht als einen legislativen Grund geltend machen wollen? Und wo eine solche Lauheit und Nachlässigkeit gegen gewisse Vergehungen Statt findet, wird sie da nicht mindestens auf gleiche Weise gegen Christen wie gegen Juden geübt? Ist nicht, wo jüdischer Wucher straflos ist, mit dem christlichen dasselbe der Fall?

[ . . . ]




*) Eine Schilderung dieser Tendenz, so grell, daß ich sie, wenigstens was den ehrenwerthen Stand der Universitäts-Lehrer betrifft, ungern unterschreiben möchte, findet sich in der kleinen Schrift, von welcher Herr Dr. P. seinen Ausgangs-Punkt nimmt: Ein Wort über die Emancipation der Bekenner des mosaischen Glaubens in Baden von einem christlichen Badenser. 1831, S. 26.
**) Ein Staat, in dem sich dergleichen fände, müßte sofort aus der Reihe der civilisirten gestrichen werden.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite