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Auszug aus Clemens Fürst von Metternichs politischem Glaubensbekenntnis (1820)

In dem folgenden Auszug aus seinem politischen Glaubensbekenntnis (1820) entwickelt Clemens Fürst von Metternich das Argument weiter, das er in seinem Brief an Friedrich Gentz vom 17. Juni 1819 darlegt hatte. Besonders macht er Intellektuelle aus dem Mittelstand für revolutionäre Umstürze verantwortlich, während das einfache Volk die Autokratie eher hinnähme. Der Text entstammt einer Sammlung von politischen Schriften Metternichs, die posthum von seinem Sohn herausgegeben wurden. Metternich schrieb seine politischen Abhandlungen wie auch seine Memoiren auf Französisch. Das französische Original folgt unten nach der deutschen Übersetzung.

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Gibt es denn noch Heilmittel gegen das Übel, und welche könnten es sein?

Wir glauben, daß es grundsätzlich für jedes Übel ein Heilmittel gibt und daß die Kenntnis der wahren Natur des einen zur Entdeckung des anderen führt. Wenige Menschen jedoch halten sich mit dem genauen Studium jenes Übels auf, das sie sich zu bekämpfen vorgenommen haben. Es gibt kaum jemand, der nicht von Leidenschaften beeinflußt ist oder unter dem Joch von Vorurteilen steht; und es gibt eine große Zahl, die verleitet von außenstehenden, oftmals brillianten, Schmeichlern an noch viel gefährlicheren Ufern fischt; wir hören, daß vom Geiste eines Systems die Rede ist; dieser stets falsche, aber unermüdliche, unverschämte und zur Selbstbeschränkung unfähige Geist ist befriedigend für die Menschen, die von ihm durchdrungen sind (da sie eine von ihnen selbst erschaffene Welt bewohnen und regieren), aber umso gefährlicher für die Bewohner der wirklichen Welt, die sich so sehr von der durch den Geist des Systems erschaffenen unterscheidet.

Es gibt noch eine weitere Sorte von Menschen, die ein Übel nur nach seiner äußeren Form erfaßt, indem sie seine Einzelerscheinungen mit dem Grundübel verwechselt und die sich damit begnügt, nebensächliche Symptome zu bekämpfen anstatt ihre Bemühungen auf die Quelle des Übels zu richten.

Es ist unsere Pflicht, uns darum zu bemühen, die eine wie die andere dieser Klippen zu umschiffen.

Das Übel existiert, und es ist groß. Wir glauben nicht, es besser definieren zu können in seinem einfachen Ursprung und seiner ständig, überall und immer agitierenden Art, als daß wir uns nicht zum Sklaven von Mutmaßungen gemacht hätten, dieses unzertrennlichen Begleiters des Halbwissens, dieses Vehikels eines vermessenen Ehrgeizes, in Zeiten der Schwierigkeiten und des Aufruhrs so leicht zu befriedigen.

Dieser moralische Krebsschaden hat hauptsächlich die mittleren Gesellschaftsklassen ergriffen. Und nur in ihren Kreisen finden man die eigentlichen Koryphäen der Partei.

Die breite Mehrheit des Volkes bietet ihm kaum eine Angriffsfläche und wird sie auch nicht bieten. Die Aufgaben, denen diese Klasse, das wahre Volk, verpflichtet ist, sind viel zu beständig und zu positiv, als daß es sich in die Ungewissheit der Abstraktion und des Ehrgeizes hineinwerfen würde. Das Volk weiß, was am meisten zu seinem Glück beiträgt, nämlich, daß es sich auf das Morgen verlassen kann. Denn die Zukunft ist der ausschließliche Lohn für die Leiden und Sorgen des Gestern. Es sind ihrem Wesen nach einfache Gesetze, die einen gerechten Schutz der wichtigsten Güter, der Sicherheit des Einzelnen und der Familien sowie des Eigentums versichern. Das Volk fürchtet sich vor der Unruhe, die dem Gewerbe schadet und die ihm in ihrem Gefolge ständig neue Belastungen aufnötigt.

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