GHDI logo


Carl Schurz erklärt, warum er zu einem Befürworter der republikanischen Regierungsform wurde (Rückblick, 1913)

Wie viele verfolgte Revolutionäre emigrierte der Politiker und Publizist Carl Schurz (1829-1906) 1852 aus Deutschland in die USA. Er ließ sich als Rechtsanwalt nieder, schloss sich als Gegner der Sklaverei der Republikanischen Partei an, kämpfte als General im Sezessionskrieg und war von 1869 bis 1875 Senator von Missouri. In dem folgenden Auszug aus seinen Erinnerungen (The Reminiscences of Carl Schurz [1913]), erklärt Schurz, warum er während der Revolution von 1848/49 zu einem Befürworter der republikanischen Regierungsform wurde.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 3


Der politische Horizont, der nach der Revolution im März so rosig aussah, verdunkelte sich bald. In Süddeutschland, wo sich die Auffassung verbreitete, die Revolution hätte nicht „vor den Thronen“ haltmachen sollen, ereignete sich ein republikanischer Aufstand unter der Führung des brillianten und ungestümen Hecker, der jedoch rasch mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. Zunächst stießen solche Versuche im ganzen Land auf wenig Verständnis. Der Großteil der Liberalen verlangte nichts weiter als die Herstellung der nationalen Einheit und einer konstitutionellen Monarchie „auf breiter demokratischer Grundlage“. Aber die republikanische Gesinnung verbreitete sich und nahm noch zu, als die „Reaktion“ immer bedrohlichere Formen annahm.

Die im Frühjahr gewählte Frankfurter Nationalversammlung, die die Souveränität des deutschen Volkes im weitesten Sinne symbolisieren und für die vereinigte deutsche Nation eine nationale Regierung abgeben sollte, wies unter ihren Mitgliedern sehr viele Männer auf, die sich weniger im Bereich der Politik, als in dem der Wissenschaft und der Literatur hervorgetan hatten. Rasch zeigte sich eine gefährliche Tendenz, die meiste Zeit, die für umgehende und entschlossene Schritte nötig war, wenn die legitimen Errungenschaften der Revolution vor feindlichen Kräften geschützt werden sollten, in brillianten, aber mehr oder weniger fruchtlosen Debatten zu vergeuden.

Aber unsere Blicke waren noch besorgter auf Berlin gerichtet. Preußen war bei weitem der stärkste unter den rein deutschen Staaten. Österreich-Ungarn war ein Konglomerat verschiedener Nationen – Deutsche, Ungarn, Slawen und Italiener. Die deutsche Bevölkerung, der die Dynastie und die politische Hauptstadt angehörten, war bisher dominierend gewesen. Obwohl sie in der Minderheit war, wies sie den höchsten Entwicklungsstand auf, was Kultur und Wohlstand betraf. Angestachelt von den revolutionären Bewegungen des Jahres 1848 strebten aber die Slawen, die Ungarn und die Italiener nach nationaler Autonomie, und obwohl Österreich in der Spätphase des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches und dann nach den Napoleonischen Kriegen im Deutschen Bund den höchsten Rang innegehabt hatte, schien es zweifelhaft, ob ihm seine großen außerdeutschen Interessen jetzt gestatten würden, eine führende Rolle bei der politischen Einigung Deutschlands unter einer konstitutionellen Regierung einzunehmen. In der Tat stellte es sich in der Folge heraus, daß die gegenseitigen Eifersüchteleien der verschiedenen Rassen die österreichische Zentralregierung in den Stand versetzten, sie trotz des hoffnungsvollen Revolutionsbeginns eine nach der anderen ihrer despotischen Herrschaft zu unterwerfen, und daß in der Politik Österreichs und der Dynastie die außerdeutschen Interessen bestimmend waren. Preußen hingegen war, abgesehen von einem vergleichsweise kleinen polnischen Gebiet, ein rein deutsches Land, und gemessen an seiner Bevölkerung, der allgemeinen Bildung, der wirtschaftlichen Aktivität und insbesondere seiner militärischen Macht bei weitem der mächtigsten unter den deutschen Staaten. Allgemein herrschte daher die Meinung vor, daß die Haltung Preußens über das Schicksal der Revolution entscheiden würde.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite