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David Hansemann an den preußischen Innenminister Ernst von Bodelschwingh (1. März 1848)

Nach dem Ausbruch der Revolution in Frankreich und kurz vor ihrem Übergreifen auf Deutschland beschreibt der Aachener Geschäftsmann und Politiker David Justus Ludwig Hansemann (1790-1864) in dem hier wiedergegebenen Brief vom 1. März 1848 an den preußischen Innenminister, Ernst von Bodelschwingh (1794-1854), die dramatischen Folgen von drei Jahrzehnten absolutistischer Herrschaft. Mit seiner scharfen Kritik an dynastischer Überheblichkeit, maßlosen Militärausgaben und aufgeblähten Verwaltungen verwirft er das Metternichsche System.

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Wenn das Vaterland in Gefahr ist, so müssen die, welche es lieben, wie abweichend auch ihre politischen Ansichten bisher gewesen sein mögen, sich nähern. Hierbei ist die unumwundenste Offenheit die erste Pflicht. Mit diesem kurzen Vorworte wende ich mich an E. E., um in gedrängter Kürze meine Ansicht über Preußens und Deutschlands Lage und über die Mittel, drohenden Gefahren zu begegnen, auszusprechen.

Seit dreißig Jahren haben die Kontinentalregierungen mit Gewalt, mit Klugheit und mit Konsequenz das System der Unfreiheit der Völker verfolgt. In einem Lande ist es mit ungeschminkter Schaustellung der unbeschränktesten Fürstengewalt geschehen; in anderen hat man das Prinzip des Absolutismus festgehalten, es aber in etwas angenehme Formen zu hüllen gesucht; wieder in anderen Ländern hat die Regierung eine freisinnige Landesverfassung eigenmächtig verändert, oder man hat sie durch Einfluß auf die Wahl der Stände und auf deren Zusammensetzung, oder durch Ausschließung mißliebiger Ständemitglieder so gedreht und gewendet, daß man sich die Majoritäten schuf, wie man sie gern haben wollte, soweit dies irgend anging. Und wenn selbst solche Stände mit großen Majoritäten ihre Ansicht aussprachen, so hat man sie nicht als Wünsche des Volkes betrachten wollen. Man hat vielfältig, und namentlich in deutschen und italienischen Ländern, seitens der Regierungen Grundsätze aufgestellt, deren Sinn war, daß die Dynastien eine höhere Bedeutung als die Völker haben.

Die Minister, die solche Politik verfolgten, haben es, so setze ich voraus, in der ehrlichen Überzeugung getan, einen guten und vernünftigen Weg zu wandeln; aber jetzt ist es höchste Zeit, einzusehen, daß man in großem Irrtum war; es ist dringend Zeit, umzukehren und einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Denn welche Resultate hat diese Politik erzeugt? In Spanien und Portugal eine Änderung in der Ordnung der Thronfolge. In Frankreich eine Vertreibung der legitimen Dynastie, und jetzt auch, wenigstens einstweilen, die Vertreibung einer neuen Dynastie, Nebenzweig der früheren, und ein Zustand, dessen künftige Gestaltung der menschlichen Voraussicht sich entzieht. In der Schweiz eine stärkere Ausbildung des demokratischen Prinzips in den dortigen Republiken. In Italien in allen nicht ganz von Österreich abhängigen Ländern für jetzt konstitutionelle Verfassungen, von welchen nach den Vorgängen in Frankreich nicht einmal gewiß ist, ob es mit dieser Art der Ausbildung zur Freiheit sein Bewenden haben werde, und dazu der lebhafteste Geist der Nationalität, verbunden mit dem stärksten Haß gegen die Deutschen, die man als Unterdrücker der italienischen Freiheit betrachtet.

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