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Gesetz zur Gewerbefreiheit und Koalitionsfreiheit (21. Juni 1869)

Dieses im Reichstag des Norddeutschen Bundes verabschiedete Gesetz wurde 1871 für das Deutsche Reich als Reichsgewerbeordnung übernommen. Es vereinheitlichte und vereinfachte gemeingültige Praktiken für jede Person, die ein Gewerbe ausübte. Das Gesetz über die Koalitionsfreiheit erkannte Gewerkschaften als legitime Vertretungen der Arbeiterinteressen an. Gemeinsam hatten diese Gesetze großen Einfluss auf die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen im aufstrebenden Deutschland. Viele der in dieser Epoche formulierten Gesetze wurden vom Reichstag und Bundesrat auf grundlegende und oft erstaunliche Weise abgeändert, doch Bismarck widersetzte sich erfolgreich den Bemühungen der Nationalliberalen, das Gleichgewicht zwischen legislativer und exekutiver Gewalt neu zu entwerfen.

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Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund (21. Juni 1869)*


[I. Gewerbefreiheit]

§ 1. Der Betrieb eines Gewerbes ist Jedermann gestattet, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind.

Wer gegenwärtig zum Betriebe eines Gewerbes berechtigt ist, kann von demselben nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil er den Erfordernissen dieses Gesetzes nicht genügt.

§ 2. Die Unterscheidung zwischen Stadt und Land in Bezug auf den Gewerbebetrieb und die Ausdehnung desselben hört auf.

§ 3. Der gleichzeitige Betrieb verschiedener Gewerbe, sowie desselben Gewerbes in mehreren Betriebs- oder Verkaufsstätten ist gestattet. Eine Beschränkung der Handwerker auf den Verkauf der selbstverfertigten Waaren findet nicht statt.

§ 4. Den Zünften und kaufmännischen Korporationen steht ein Recht, Andere von dem Betriebe eines Gewerbes auszuschließen, nicht zu.

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§ 6. Das gegenwärtige Gesetz findet keine Anwendung auf das Bergwesen (vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 152, 153 und 154), die Fischerei, die Ausübung der Heilkunde [. . . .], die Errichtung und Verlegung von Apotheken und den Verkauf von Arzneimitteln [. . . .], das Unterrichtswesen, die advokatorische und Notariats-Praxis, den Gewerbebetrieb der Auswanderungs-Unternehmer und Auswanderungs-Agenten, der Versicherungs-Unternehmer und der Eisenbahn-Unternehmungen, den Vertrieb von Lotterieloosen, die Befugniß zum Halten öffentlicher Fähren und die Rechtsverhältnisse der Schiffsmannschaften auf den Seeschiffen.

Eine Verordnung des Bundespräsidiums wird bestimmen, welche Apothekerwaaren dem freien Verkehr zu überlassen sind.

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§ 11. Das Geschlecht begründet in Beziehung auf die Befugniß zum selbstständigen Betriebe eines Gewerbes keinen Unterschied.

Frauen, welche selbstständig ein Gewerbe betreiben, können in Angelegenheiten ihres Gewerbes selbstständig Rechtsgeschäfte abschließen und vor Gericht auftreten, gleichviel, ob sie verheirathet oder unverheirathet sind. Sie können sich in Betreff der Geschäfte aus dem Gewerbebetrieb auf die in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Rechtswohlthaten der Frauen nicht berufen. Es macht hierbei keinen Unterschied, ob sie das Gewerbe allein oder in Gemeinschaft mit anderen Personen, ob sie dasselbe in eigener Person oder durch einen Stellvertreter betreiben.

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* Das Gesetz wurde 1871 als Reichsgewerbeordnung übernommen. [Alle Fußnoten stammen aus: Ernst Rudolf Huber, Hg., Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, 3. Bearb. Aufl., Bd. 2, 1851-1900. Stuttgart: Kohlhammer, 1986, S. 310-12.]

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