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Gesetz zur Freizügigkeit (1. November 1867)

Das Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 ermöglichte es den Einwohnern des Norddeutschen Bundes, ihren Wohnsitz ohne ernsten Nachteil von einem Staat der Föderation in einen anderen zu verlegen. Gemeindebehörden war es nur dann gestattet, einem Zuzügler die Niederlassung zu verweigern, wenn sie beweisen konnten, dass dieser außer Stande war, sich und seiner Familie den Lebensunterhalt zu sichern. (Lokale Behörden verweigerten eine solche Erlaubnis häufig mit der Begründung, die Zuziehenden seien Bedürftige und würden ihre ausgewählte Gemeinde belasten.) Dieses bedeutende Gesetz verbesserte wie viele weitere von Bismarck und den Liberalen in diesen Jahren ausgehandelte Vorschriften die Freiheit und Autonomie des Einzelnen, lockerte die Beschränkungen der modernisierenden Wirtschaft Deutschlands und trug zur Konsolidierung des neuen Bundes bei. Es wurde 1871 als Reichsgesetz übernommen.

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Gesetz zur Freizügigkeit (1. November 1867)


§ 1. Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes:

1) an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen im Stande ist;

2) an jedem Orte Grundeigenthum aller Art zu erwerben;

3) umherziehend oder an dem Orte des Aufenthalts, beziehungsweise der Niederlassung, Gewerbe aller Art zu betreiben, unter den für Einheimische geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

In der Ausübung dieser Befugnisse darf der Bundesangehörige, soweit nicht das gegenwärtige Gesetz Ausnahmen zuläßt, weder durch die Obrigkeit seiner Heimath, noch durch die Obrigkeit des Ortes, in welchem er sich aufhalten oder niederlassen will, gehindert oder durch lästige Bedingungen beschränkt werden.

Keinem Bundesangehörigen darf um des Glaubensbekenntnisses willen oder wegen fehlender Landes- oder Gemeindeangehörigkeit der Aufenthalt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb oder der Erwerb von Grundeigenthum verweigert werden.

§ 2. Wer die aus der Bundesangehörigkeit folgenden Befugnisse in Anspruch nimmt, hat auf Verlangen den Nachweis seiner Bundesangehörigkeit und, sofern er unselbstständig ist, den Nachweis der Genehmigung desjenigen, unter dessen (väterlicher, vormundschaftlicher oder ehelicher) Gewalt er steht, zu erbringen.*

§ 3. Insoweit bestrafte Personen nach den Landesgesetzen Aufenthaltsbeschränkungen durch die Polizeibehörden unterworfen werden können, behält es dabei sein Bewenden.

Solchen Personen, welche derartigen Aufenthaltsbeschränkungen in einem Bundesstaate unterliegen, oder welche in einem Bundesstaate innerhalb der letzten zwölf Monate wegen wiederholten Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden sind, kann der Aufenthalt in jedem anderen Bundesstaate von der Landespolizeibehörde verweigert werden.

Die besonderen Gesetze und Privilegien einzelner Ortschaften und Bezirke, welche Aufenthaltsbeschränkungen gestatten, werden hiermit aufgehoben.

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