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Sozialer Antagonismus zwischen Protestanten und Katholiken (1870er-1880er Jahre)

Eduard Hüsgen (1848-1912) war der Mitbegründer und langjährige Vorsitzende des Augustinus-Vereins zur Pflege der katholischen Presse. In diesem Auszug aus seiner 1907 veröffentlichten Biografie des Zentrumsvorsitzenden Ludwig Windthorst (1812-1891) betont Hüsgen die Wirkung der sozialen Feindseligkeiten zwischen Protestanten und Katholiken in Deutschlands Klein- und Mittelstädten. Hüsgen war 1871 aus dem Justizdienst in Preußen wegen seiner Verbindung mit einer Zeitung der Zentrumspartei entlassen worden. Er war nicht der einzige, den diese Art von Diskriminierung betraf. Der Kulturkampf der 1870er und 1880er Jahre vergrößerte die Kluft zwischen Protestanten und Katholiken. Während des gesamten Kaiserreichs waren Katholiken in den Reihen der Beamten sowie in Industrie, Handel und Gewerbe deutlich unterrepräsentiert. Katholiken lebten eher in ländlichen Gegenden und sie waren umgekehrt unter den Landarbeitern überrepräsentiert.

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Was man mit dem Namen »Kulturkampf« bezeichnet, das war die Mobilmachung des konfessionellen Gegensatzes gegen den Katholizismus, die Aufbietung der Staatsgewalt in ihren höheren und niederen Organen, der Aufwand aller Machtmittel, die Bildung und Besitz gewähren, gegen alles, was katholisch hieß oder mit der katholischen Kirche auch nur entfernt zusammenhing.

Wie eine vergiftende Atmosphäre, wie eine Art Krankheit lag es in jenen Tagen über unserem Vaterlande. Katholik und Reichsfeind, katholisch und vaterlandslos, ultramontan und vaterlandsfeindlich, Zentrumsanhänger und Gegner jeder Kulturbestrebung waren nach landläufiger Auffassung gleichwerte Begriffe. Es gehörte gewissermaßen zum guten Ton, den Katholiken ihre politische und gesellschaftliche Minderwertigkeit möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen und ihnen im öffentlichen und privaten Leben die Gleichberechtigung abzusprechen. Es galt – wie der Abg. Hänel am 12. Jan. 1882 im Reichstage sagte, als man sich dieser Zustände zu schämen begann – »als notwendig, korrekt und patriotisch, ja sogar um in höherer Gesellschaft zulässig zu sein, als Bedingung, daß man kulturkämpfte. Da mußte man mit Entschiedenheit allen Anforderungen, welche die Regierung und die Konservativen in bezug auf die Kirchengesetzgebung erhoben, blindlings folgen, sonst war man immerhin politisch etwas anrüchig.«* Wobei man aber nicht vergessen darf, daß Fortschritt und Nationalliberale es mitunter noch ärger trieben, als die Konservativen.

Die konfessionellen und politischen Gegensätze waren so groß, daß ein klaffender Riß durch die Gesellschaft ging, der Spaltung und Zwietracht bis in den Schoß der Familie hinein trug. Ein überzeugungstreuer Katholik galt tatsächlich nur als Bürger zweiter Klasse. Ja, selbst die katholischen Männer, die sich der Zentrumspartei nicht anschlossen, vielmehr in den Reihen der Gegner politisch ihre Stellung nahmen, wurden nicht für voll angesehen und begegneten einem gewissen Mißtrauen, wenn sie nicht durch ganz besondere Rücksichtslosigkeit im Kampfe gegen ihre Glaubensgenossen sich auszeichneten.


* Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, V. Legislaturperiode, 1. Session 1881/82, S. 563.

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