GHDI logo


Franz Rehbein, Landarbeiter (um 1890)

In den deutschen Gebieten östlich der Elbe beherrschten große Landgüter den landwirtschaftlichen Sektor. Auf ihnen arbeitete eine große Zahl von landwirtschaftlichen Tagelöhnern für geringe Löhne und mit eingeschränkten Möglichkeiten zur Verbesserung ihres Schicksals. Sie zogen häufig umher, wenn die Arbeit knapp wurde, doch allmählich bürgerte sich eine regelmäßigere saisonale Migration ein, wie dies bereits für andere Erwerbsgruppen der Fall war, darunter die in diesem Dokument erwähnten Lippischen Ziegler. Der unten reproduzierte Text stammt aus Franz Rehbeins (1867-1909) Autobiografie, herausgegeben von dem protestantischen Pastor und Sozialreformer Paul Göhre im Jahr 1911. Göhre hatte seinen eigenen Bericht über die drei Monate verfasst, die er verdeckt als Arbeiter in einer Chemnitzer Fabrik verbracht hatte, und unterstützte die Veröffentlichung weiterer Autobiografien aus der Arbeiterklasse. Er wollte die miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Landarbeitern in den preußischen Provinzen östlich der Elbe ans Licht bringen, und Rehbeins fesselnde Darstellung erfüllte seine Zielsetzung sehr gut. Hier beschreibt Rehbein sein Leben als landwirtschaftlicher Tagelöhner in Dithmarschen, einer Tieflandgegend entlang der Nordseeküste. Um Rehbeins Eindrücke von den Auswirkungen der Mechanisierung und industrieller Arbeitspläne auf die Arbeit auf dem Lande einzuschätzen, ist es wichtig zu wissen, dass Rehbein längst nicht mehr als Landarbeiter tätig war, als er diesen Bericht verfasste. 1895 verlor er bei einem Dreschmaschinenunfall eine Hand; danach brachte er sich über die Runden, indem er für verschiedene sozialdemokratische Zeitschriften schrieb und als Funktionär bei der Freien Gewerkschaftsbewegung arbeitete. Dennoch ist sein Bericht eine der wenigen erhaltenen Darstellungen des Alltagslebens auf dem deutschen Land.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 7


Bald kam der Winter, scharf und strenge.

[ . . . ]

Zudem nahm die winterliche Arbeitslosigkeit einen immer größeren Umfang an. Jetzt erst lernte ich erkennen, was es heißt, als ein »freier« und verheirateter Tagelöhner sich in der »gesegneten Marsch« durchbeißen zu müssen.

Kein Bauer hatte mehr etwas für uns Tagelöhner zu tun. Auf den Höfen regte sich nichts. Das Korn war mit der Maschine ausgedroschen; zu kleien gab’s ebenfalls nichts; und das übrige wurde mit ein paar Knechten und Jungens besorgt. Da saßen wir Tagelöhner nun und guckten zum Fenster hinaus. Mich beschlich allmählich ein Gefühl unruhiger Mißmutigkeit, das von Tag zu Tag peinigender wurde, je länger ich herumbummeln mußte. Ein paar Tage und schließlich auch ein paar Wochen hält man es ja in der Stube aus; da läuft einer zum andern, man klöhnt oder spielt Schafskopf und hofft auf einen baldigen Umschlag. Wenn man jedoch an regelmäßige Arbeit gewöhnt ist und die Arbeitslosigkeit gar nicht wieder abreißen will, dann wird’s einem in den vier Pfählen verdammt ungemütlich. Teufel, ist das ein Gefühl, jung, kräftig und arbeitslos in der Kate zu sitzen, wo man doch so gerne arbeiten möchte! Man schämt sich förmlich, sich noch auf der Straße sehen zu lassen.

Es ist, als grinste einen jeder Strauch und jeder Misthaufen schadenfroh an. Dabei schrumpfen die paar Spargroschen immer mehr zusammen; man kann sich schon an den Fingern abzählen, wann der letzte Taler angerissen werden muß; und was dann? Ach wie hübsch voll und schwer kommt einem solch Taler vor, wenn man ihn verdient hat, und wie leicht wird er, wenn man ihn ausgeben muß!

Mit verhaltenem Grimm sieht man dann auf die gewichtigen Bauern, die unbekümmert um die steigende Not der Tagelöhner zu ihren »Visiten« oder Vergnügungen fahren. Den dampfenden Pferden kann man vor Fett keine Rippe auf dem Leibe zählen, während man selbst den Leibriemen von Tag zu Tag enger schnallt. Merkwürdige Gedanken beschleichen einen dann. Da sitzt man als armer Schlucker und will gerne arbeiten; diejenigen aber, für die man sich im Sommer für geringen Lohn abschindet, zucken jetzt gleichmütig die breiten Achseln – was können sie dafür, daß sie keine Arbeiter gebrauchen können?

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite