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Brief der Augenzeugin Mathilde Wolff-Mönckeberg über die Folgen des Hamburger Feuersturms (24. August 1943)

Neben tausenden von Todesopfern verursachten die alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte auch katastrophale Versorgungsnot und Panik unter den Überlebenden. Wie die folgende Schilderung einer Augenzeugin des Hamburger Feuersturms belegt, zermürbten diese Angriffe in der Tat die Moral der Bevölkerung, führten jedoch nicht zu den erhofften Aufständen gegen das NS-Regime und damit einem beschleunigten Ende des Krieges.

Mathilde Wolff-Mönckeberg (1879-1958) war die Tochter des Hamburger Oberbürgermeisters Johann Georg Mönckeberg. Obwohl sie und ihr Mann Emil Wolff nicht zu den Anhängern der Nationalsozialisten gehörten, blieben sie während der gesamten Dauer des Krieges in Hamburg und erlebten so dessen weitreichende Zerstörung mit. Der folgende Bericht stammt aus einem Brief vom 24. August 1943, den Wolff-Mönckenberg an ihre fünf erwachsenen Kinder geschrieben hat, von denen vier davon zu dieser Zeit im Ausland lebten. Es war einer aus einer ganzen Serie von Briefen, die Wolff-Mönckenberg wärend der Kriegsjahre an ihre Kinder geschrieben hat. Sie hat sie nie abgeschickt und hatte wahrscheinlich auch nie die Absicht, sie zu verschicken. Ihre Tochter Ruth Evans hat die Briefe 1974, Jahre nach ihrem Tod gefunden, ins Englische übersetzt und 1979 veröffentlicht.

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24. August 1943

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In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch war nämlich wieder ein ganz schwerer Terrorangriff, mir schien er noch viel fürchterlicher als der am Sonnabend. Nach dem Alarm wurde erst nur wenig geschossen, und dann war Ruhe, so daß wir im Keller meinten, es sei schon alles vorüber, und dann ging es los, als ob die Welt unterginge. Das Licht ging sofort aus, und wir saßen erst im Dunkeln, dann bei einem flackernden Lichtchen, alle mit nassen Tüchern um Nase und Mund, und das Getöse war derartig, die Einschläge so unausgesetzt, daß das ganze Haus wackelte und Mörtel herunterrieselte und Scheiben klirrten. Frau Leiser lag in einer tiefen Ohnmacht auf der Erde, das süße Baby starrte mit ängstlichen Augen umher, keiner sprach mehr, die Leute, die zusammengehörten, faßten sich bei der Hand, und alles drängte zum Ausgang. Ich habe noch nie solche richtige Todesangst empfunden, solche Todesnähe. Bei jedem schweren Krach dachte man, nun stürzt das Haus über uns zusammen, nun kommt das Ende. Schwerer Brandgeruch drang ein, und Feuerschein erhellte die ganze Straße. Dann wurde es still.

Am nächsten Morgen kam Maria mit der Nachricht, die Stadt solle innerhalb 6 Stunden von allen Frauen und Kindern geräumt werden, Gas brannte nicht, kein Tropfen Wasser floß, das Elektrische versagte, und das Telefon und der Aufzug waren kaputt. Man kann sich schwerlich eine Vorstellung von der allgemeinen Panik und Auflösung machen. Jeder dachte nur noch an Flucht, wir auch. W. lief zur Polizei, um sich die Ausreiseerlaubnisscheine zu holen, eine Menschenflut staute sich dort, aber wir bekamen sie, weil wir ein Reiseziel angeben konnten. Aber wie sollten wir fort? Die Fernzüge gingen alle nur bis Harburg, sämtliche Hamburger Bahnhöfe waren zerstört oder standen noch in Flammen, keine Straßenbahn, keine Stadt- und Hochbahn fuhr. Die meisten Leute luden auf Karren, Räder, Kinderwagen und den eigenen Rücken, was sie irgend mitnehmen konnten, und machten sich so auf den Weg, um nur raus-, fortzukommen. Durch die Sierichstraße flutete ein Menschenstrom, Tausende übernachteten einfach im Freien, um nur der entsetzlichen Katastrophe in der Stadt zu entfliehen. In der Nacht waren die Stadtteile Hamm, Hammerbrook, Rothenburgsort, Barmbeck fast ganz dem Erdboden gleichgemacht. Leute, die aus den einstürzenden Kellern flohen und sich in völliger Ratlosigkeit auf den Straßen stauten, wurden mit brennendem Phosphor begossen, stürzten sich in die Bunker und wurden einfach erschossen, um nicht alle andern in den Bunkern mit in Brand zu stecken. Frauen bekamen auf den Straßen unter Flamen und Wasserstrahlen ihre Kinder, Eltern und Kinder wurden im Gedränge auseinandergerissen und fanden sich nicht wieder, es muß ganz unbeschreiblich grauenhaft gewesen sein. Deshalb wollten alle nur fort! W. versuchte vergeblich, irgendeine Fahrgelegenheit auszukundschaften. Die meisten in unserem Hause bereiteten in größter Eile ihre Abreise vor. Wir schleppten auch noch alles mögliche in den Keller. Da man kaum kochen konnte, wurden überall Gemeinschaftsküchen errichtet, und überall, wo sich Menschen anhäuften, entstand Unruhe. Die Parteiabzeichen wurden den Trägern abgerissen und der Schrei ertönte: „Wir wollen den Mörder!“ Die Polizei schritt niemals ein. In der Nacht war wieder kurzer Alarm, Maria übernachtete bei uns, weil es zu furchtbar im Bunker gewesen war, solche Gluthitze von all den Bränden, daß viele zusammenbrachen und andre anfingen, sich zu beschimpfen und zu prügeln, Kinder schrien, Männer waren betrunken.

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Quelle: Mathilde Wolff-Mönckeberg, Briefe, die sie nicht erreichten, heausgeben von Ruth Evans. Hamburg: Hoffmann und Campe 1980, S. 91-92.

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