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Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt (23. August 1939)

Nach der Liquidierung der sogenannten „Rest-Tschechei“ im März 1939 hegten die Westmächte keine Illusionen über Hitlers aggressive Ambitionen mehr. Es war nun offensichtlich, dass jegliche territorialen oder diplomatischen Zugeständnisse an ihn nur in weiteren, größeren Forderungen mündeten. So hatte Hitler schon Ende Oktober 1938 begonnen, Polen zur Abgabe der Freien Stadt Danzig und der Errichtung einer exterritorialen Autobahn durch den polnischen Korridor zu drängen, eine Forderung, die von der polnischen Regierung kategorisch abgelehnt wurde. Angesichts Hitlers wachsender Ungeduld mit den unfruchtbaren Verhandlungen garantierte der britische Premierminister Neville Chamberlain am 31. März 1939 die nationale Staatssouveränität Polens und signalisierte damit unmissverständlich das Ende seiner Appeasement-Politik. Somit sollte Litauens erzwungene Abgabe des Memellandes an das Deutsche Reich im gleichen Monat Hitlers letzte friedliche Eroberung sein.

Am 3. April erließ Hitler die Führerweisung „Fall Weiß“, die die militärische Zerschlagung Polens in einer Überraschungsoffensive nach dem 1. September 1939 vorsah. Während Hitler der Welt Deutschlands friedliche Absichten versicherte, unternahm er zwei entscheidende diplomatische Manöver, die das Reich militärisch-strategisch auf den Kriegsfall vorbereiten sollten. Zum einen schloss er am 22. Mai den sogenannten Stahlpakt mit Mussolini, der die militärische Zusammenarbeit der beiden Diktatoren sowie ihre gegenseitige Unterstützung im Kriegsfalle garantierten. Zum anderen begann er, Stalin für eine militärische Allianz zu umwerben, um einen möglichen Zweifrontenkrieg gegen England und Frankreich im Westen und die Sowjetunion im Osten zu vermeiden.

Am 23. August 1939 unterzeichneten Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (1893-1946) und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow (1890-1986) in Moskau den folgenden Vertrag. Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt , der neben regulären Nichtangriffs- und Neutralitätsklauseln auch ein geheimes Protokoll zur territorialen Aufteilung Osteuropas enthielt, besiegelte Hitlers Entschluss zur Invasion Polens eine Woche später. Mit der Sowjetunion auf seiner Seite hoffte Hitler, dass England und Frankreich entweder nicht zur Verteidigung Polens einspringen würden oder aber an der Westfront gehalten werden könnten, bis die schnelle Zerschlagung Polens es Deutschland erlaubte, den Krieg im Westen weiterzuführen.

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Nichtangriffvertrag zwischen Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken


Die Deutsche Reichsregierung und

die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

geleitet von dem Wunsche die Sache des Friedens zwischen Deutschland und der UdSSR zu festigen und ausgehend von den grundlegenden Bestimmungen des Neutralitätsvertrages, der im April 1926 zwischen Deutschland und der UdSSR geschlossen wurde, sind zu nachstehender Vereinbarung gelangt:

Artikel I. Die beiden Vertragschliessenden Teile verpflichten sich, sich jeden Gewaltakts, jeder aggressiven Handlung und jeden Angriffs gegen einander, und zwar sowohl einzeln als auch gemeinsam mit anderen Mächten, zu enthalten.

Artikel II. Falls einer der Vertragschliessenden Teile Gegenstand kriegerischer Handlungen seitens einer dritten Macht werden sollte, wird der andere Vertragschliessende Teil in keiner Form diese dritte Macht unterstützen.

Artikel III. Die Regierungen der beiden Vertragschliessenden Teile werden künftig fortlaufend zwecks Konsultation in Fühlung miteinander bleiben, um sich gegenseitig über Fragen zu informieren, die ihre gemeinsamen Interessen berühren.

Artikel IV. Keiner der beiden Vertragschliessenden Teile wird sich an irgend einer Mächtegruppierung beteiligen, die sich mittelbar oder unmittelbar gegen den anderen Teil richtet.

Artikel V. Falls Streitigkeiten oder Konflikte zwischen den Vertragschliessenden Teilen über Fragen dieser oder jener Art entstehen sollten, werden beide Teile diese Streitigkeiten oder Konflikte ausschliesslich auf dem Wege freundschaftlichen Meinungsaustausches oder nötigenfalls durch Einsetzung von Schlichtungskommissionen bereinigen.

Artikel VI. Der gegenwärtige Vertrag wird auf die Dauer von 10 Jahren abgeschlossen mit der Massgabe, dass, soweit nicht einer der Vertragsschliessenden Teile ihn ein Jahr vor Ablauf dieser Frist kündigt, die Dauer der Wirksamkeit dieses Vertrages automatisch für weitere fünf Jahre als verlängert gilt.

Artikel VII. Der gegenwärtige Vertrag soll innerhalb möglichst kurzer Frist ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen in Berlin ausgetauscht werden. Der Vertrag tritt sofort mit seiner Unterzeichnung in Kraft.

Ausgefertigt in doppelter Urschrift, in deutscher und russischer Sprache.

Moskau am 23. August 1939.

Für die Deutsche Reichsregierung: v. Ribbentrop

In Vollmacht der Regierung der UdSSR: W. Molotow

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