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Frauenemanzipation auf dem Vormarsch (22. April 1977)

Der Trend zum Single-Dasein und der Rückgang der Geburten in der Bundesrepublik, so die Autorin, finde trotz der vorherrschenden Politik und entgegen den gesellschaftlichen Normen statt und reflektiere das wachsende Bestreben der Frauen, eigenständige Wege zu gehen.

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Lysistrata geht um. Kein Pillenknick, sondern die Emanzipation der Frau lehrt die Gesellschaft das Fürchten


Die bürgerliche Gesellschaft geht in sich. Sie muß eine Weile nachdenken. Denn, was da in ihren eigenen Reihen geschieht, ist gegen die Spielregeln. Einsamkeit — Zweisamkeit — dieses Wortpaar in seiner ursprünglichen Bedeutung beginnt an Aussagekraft zu verlieren. Ins Gegenteil verkehrt sich, was negativ, was positiv zu sein hat. Der Bund fürs Leben, die Institution Familie scheint immer weniger gefragt zu sein. Obgleich die Gesellschaft und der Staat alles tun, um den Junggesellen ihre Extratour so unbequem wie möglich zu machen, verglichen etwa mit den Steuergeschenken für die Familie, steigt die Zahl derjenigen, die lieber ledig bleiben als sich zu binden. Und diejenigen, die gebunden sind, entledigen sich zunehmend dieser Bindung und werden wieder ledig.

Zumal die Frauen machen sich selbständig, hängen das Geschirrtuch an den Nagel und verlassen ihr Ehereservat. Oder betreten es erst gar nicht. „Wir wollen nicht mehr ausschließlich für die Gesellschaft da sein", was für sie gebären und Kinder großziehen bedeutet. Jedenfalls wollen sie das fürs erste nicht. Der Gesellschaft hat es zunächst einmal die Sprache verschlagen. Und dann hat sie nachgerechnet: Wenn das so weitergeht, werden die derzeit 57,9 Millionen Bundesbürger gegen Ende des 21. Jahrhunderts auf 22 Millionen heruntergekommen sein. Ob das angesichts der Überbevölkerung in anderen Ländern nun so tragisch ist oder nicht, sei für diesmal dahingestellt. Was sich Politiker aber sorgenvoll fragen, ist, wer arbeitet in 40 oder 50 Jahren noch für unsere Renten? Und nicht nur für die der heute Berufstätigen, sondern auch für die Altersversorgung der ins Erwerbsleben drängenden Mütter, ob geschieden oder ledig, und jener Frauen, die partout erst gar nicht heiraten und Kinder in die Bundesrepublik setzen wollen?

Dabei ist das Junggesellen-Dasein so rosig nicht. Die Einzelgänger, die rund 1 226 000 unverheirateten Männer über 30 Jahre und die etwa 8 172 000 ledigen, geschiedenen oder verwitweten Frauen im Alter von 20 Jahren aufwärts kann ein Staat, der die Funktionstüchtigkeit seines Systems auf die Familie stützt, nicht so sehr auf der Rechnung haben. Junggesellen sind ohne Lobby. Als bevölkerungspolitische Blindgänger haben sie mehr Nach- denn Vorteile: Bei der Lohn- und Einkommenssteuer und bei den Abgaben für die Sozialversicherung. In die Rentenkasse zahlen sie weniger als Verheiratete, obgleich im Fall des Falles sie Vater Staat keine Verwitweten oder Waisen überantworten. Das selbe gilt für die Kranken- und Arbeitslosenversicherung.

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