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Dokumente - Kanzler und Wahlen

Der oft gebrauchte Begriff der Kanzlerdemokratie weist auf die herausragende Führungsrolle des Bundeskanzlers im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik hin. Obwohl der Regierungschef vom Parlament und nicht von der gesamten Wählerschaft gewählt wird, gelten Bundestagswahlen auch als Gradmesser der Zustimmung oder Ablehnung eines Kanzlers. Anfang 1990 waren viele davon überzeugt, dass trotz Kanzlerbonus der amtierende Amtsträger Helmut Kohl die nächste Wahl nicht mehr für sich und die CDU entscheiden würde. Jedoch ebnete ihm sein entschlossenes Vorgehen während der Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung bei der ersten gesamtdeutschen Wahl im Dezember 1990 den Weg zur Wiederwahl (Dok.1). Der Wahlkampf und die folgenden Regierungsjahre waren vom Thema der deutschen Einheit geprägt (Dok. 2). Die Koalition zwischen CDU/CSU und FDP konnte 1994, wenn auch nur knapp, nochmals erneuert werden (Dok. 3). Nach sechzehn Jahren Amtszeit – der längsten eines Kanzlers – optierten die Wähler jedoch 1998 klar für einen Regierungswechsel.

Würdigungen der Amtszeit von Helmut Kohl heben vor allem seine außen- und europapolitische Leistungen hervor (Dok. 4). Als Parteivorsitzender der CDU von 1973 bis 1998 hat Kohl die Partei modernisiert und wesentlich zu ihren Erfolgen auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene beigetragen. Seine Rolle als Drahtzieher, bei dem alle Fäden zusammenliefen und der seine Machtposition durch personelle Netzwerke gefestigt hatte, stellte die Partei nach seinem Abgang vor die schwierige Aufgabe einer personellen Erneuerung (Dok. 5). Sein in der Parteispendenaffäre der Jahre 1999/2000 öffentlich gewordener laxer Umgang mit der Finanzierung der CDU beendete nicht nur Kohls politische Karriere, sondern stürzte die Partei in eine schwere Krise (Dok. 7).

Die Bundestagswahl im Herbst 1998 war die erste Wahl in der Geschichte der Bundesrepublik in der die Wähler und nicht die politischen Parteien die künftige Regierungskoalition bestimmten. Erstmals konnte sich auf nationaler Ebene eine Koalition links von der Mitte zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen etablieren. Mit dem Regierungswechsel war auch ein Generationenwechsel angesagt. Manche derjenigen, die entweder der so genannten 68-Generation angehört hatten oder von ihr geprägt worden waren, gelangten nun an die Schalthebel der Macht (Dok. 6).

Die sieben Amtsjahre von Bundeskanzler Gerhard Schröder standen im Zeichen wachsender Arbeitslosigkeit, dem Kampf um die Reform der Wirtschafts- und Sozialsysteme und einer Fortsetzung der Neujustierung der internationalen Rolle Deutschlands (Dok. 12). Nach vier turbulenten Regierungsjahren in denen die Beurteilung der Regierungsleistung stark fluktuierte, konnte sich die rot-grüne Koalition bei den Wahlen im Herbst 2002 knapp noch einmal behaupten (Dok. 9). Als Schröder mit der Agenda 2010, einem Reformpaket zum Umbau der Arbeits- und Sozialsysteme, die Unterstützung vieler sozialdemokratischer Mitglieder und Wähler verlor, kündigte er im Mai 2005 vorzeitige Neuwahlen an (Dok. 10). Da Schröder gekonnt mit den Medien umging, wurde er oft als Medienkanzler tituliert; die Zentralisierung der Macht im Bundeskanzleramt nahm während seiner Amtszeit weiter zu (Dok. 8).

Konnten die beiden großen Volksparteien CDU/CSU und SPD bei den Wahlen im Jahr 1976 noch 91.6 Prozent der Zweitstimmen (d.h. der Stimmen, die vorwiegend die Verteilung der Sitze im Bundestag bestimmen) auf sich vereinen, so ist ihr Stimmenanteil seither sukzessive gefallen. 1990 lag ihr Anteil bei 79.3 Prozent; bei der Wahl zum Bundestag im September 2005 lag er nur noch bei 69.4 Prozent (Dok. 11) und sank 2009 auf ein Rekordtief von 56.8 Prozent (Dok. 16). Beide Parteien beanspruchen die Mitte des Parteienspektrums für sich und die Wahlergebnisse von 2002 und 2005 zeigten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU/CSU und SPD.

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom September 2005 präsentierte eine Patt-Situation, die keine der ursprünglich anvisierten Parteikoalitionen erlaubte; eine Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD war die Folge (siehe Kapitel 14). Mit der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin kam im November 2005 erstmals eine Frau und eine ostdeutsche Politikerin an die Spitze der Bundesregierung. Ihre Regierungserklärung knüpfte an die Reformagenda der vergangenen Jahre an (Dok. 13). Während sich die politischen Schwerpunkte somit nur wenig verschoben, so setzt sich Merkels pragmatischer und kooperativer Führungsstil von dem ihrer Vorgänger deutlich ab (Dok. 14). Nach einem Wahlkampf der allgemein als langweilig und inhaltsleer beschrieben wurde blieb Angela Merkel nach den Wahlen im September 2009 im Amt, allerdings wechselte der Koalitionspartner von SPD zu FDP (Dok. 15; siehe auch Kapitel 14).

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