Ein gigantisches Spielzeug
Die Berliner Schriftstellerin Monika Maron über das Leben mit Christos verhülltem Reichstag
Im Jahre 1984, als Michael S. Cullen, Christos Stellvertreter in Berlin (natürlich auch der Stellvertreter von Jeanne-Claude, aber davon war damals nicht die Rede), mir zum erstenmal etwas von Christos Reichstagsverhüllungsplänen erzählte, konnte ich daran, wenn ich mich richtig erinnere, nichts Absonderliches finden. Die Absurdität der Berliner Mauer war nicht zu überbieten, nur zu ergänzen, und ein leerstehendes Parlamentsgebäude in ihrem Schatten mit Laken zu verhüllen erschien mir nur folgerichtig.
1994, als die Verhüllung oder Nichtverhüllung des Reichstages zu einer nationalen Identitätsfrage angeschwollen war, die nach einer Bundestagsentscheidung verlangte, kam es mir lächerlich vor, nach dem Pont Neuf, der australischen Küste und einigen Inseln im Atlantik auch noch den kleinen Reichstag zu verpacken.
Als es nun endlich soweit war, fand ich mich eher auf der Seite der Skeptiker, auch weil mich der Ton der Diskussion – entweder für Christo oder Nationalist und Spießer – dahin gedrängt hatte.
Hier schreibt eine Bekehrte. Es ist schön, es macht Spaß; seit Christo den Reichstag verhüllt hat, ist Berlin eine andere Stadt. Sie hatte es nötig.
Dabei ist es gleichgültig, ob der Reichstag schön ist oder häßlich, ob er diese oder eine andere Geschichte hat, ob er verfremdet wird oder nicht. Wer im Berliner Zentrum derzeit etwas verfremden will, beläßt es am besten, wie es ist. Christo hat den Reichstag verpackt, und seine Botschaft heißt: Kommt her, kommt alle her.